Q1.1 und Q1.2
Verfassung und Verfassungswirklichkeit: Rechtsstaatlichkeit und Verfassungskonflikte
Klassische Theorien und aktuelle politische Theorien:
Hobbes (1588-1679, England):
- Mensch ist egoistisch, feindselig und gewaltvoll, dauerhafter Kriegszustand
- Staat soll souverän mit alleiniger Macht sein, durch Gesellschaftsvertrag legitimiert
- Ziel des Friedens übertrifft (fast) alle anderen Regeln, kann mit Menschen machen was
der Souveräne will
- Staatsmacht ist vertraglich von Volk auf Souverän übertragen
- kann jedoch bei Misstrauen abgesetzt werden (wenn das Ziel des Friedens in Gefahr ist
- Kritik: alleinige Macht; keine Mitsprache; Diktatur; pessimistisches Menschenbild
Locke (1632-1704, England):
- Liberalismus, alle Menschen sind gleich, Chancengleichheit, Eigentum, Freiheit,
Unversehrtheit
- Menschen leben friedlich zusammen, da es natürliche Gesetze gibt
- Sicherung der Rechte, eindeutige Definition der natürlichen Rechte
- Gewählte Repräsentanten sind an Gesetzgebung beteiligt, Gewaltenteilung als Idee
(Einteilung in legislative von mehreren Personen und exekutive)
- Kritik: Freiheit bedeutet die Freiheit der Reichen und Besitzenden; Staat als
„Nachtwächterstaat“, wacht darüber, dass den Reichen nichts gestohlen wird
Rosseau (1712-1778):
- Mensch ist gut, Staat verhindert das Ausleben dessen jedoch, daher Gesellschaftsvertrag
- Mensch ist vollkommen frei
- Staat soll jeden Bürger gleich behandeln und diese an politischen Beschlüssen befragen;
Herrscher und Beherrschte sind gleichgestellt
- Alle sollen das gleiche besitzen, Güter sollen verteilt werden
- Kritik: Menschen werden Interessen vorgeschrieben; viele Menschen sind egoistisch; man
kann es nicht jedem immer recht machen; Unterdrückung von Minderheiten
Montesquieu (Urheber Pluralismustheorie, s.u.):
- Wie Locke Ideen der Gewaltenteilung in vollziehende Gewalt des Staates und richterliche
Gewalt, (1) ist für Gesetzgebung und Ausführung zuständig, (2) gibt Urteile Strafen in
Streitigkeiten; es können Gewalten miteinander vermischt werden
Konkurrenztheorie (Locke)
- Es gibt unterschiedliche Interessen bei den Bürgern
- Bürger werden durch Volksvertreter repräsentiert (repräsentative Demokratie)
- Mehrheit entscheidet, unbeschränkte Herrschaft
- Freies Mandat (Abgeordnete sind nur ihrem freien Willen unterworfen)
- Kritik: Elitenpluralismus, Vorherrschen von Privatinteressen, reiner Pragmatismus ohne
Werte, Hinnahme des Status quo
Identitätstheorie (Rosseau):
- Es gibt einen einheitlichen, objektiven Volkswillen
- Alle Menschen sind gleich
, - Sondermeinungen werden nicht akzeptiert, homogener Volkswille
- Nur direkte Demokratie
- Identität von Regierenden und Regierten, Volksabstimmungen
- Autoritäre Staatslehre, radikale Demokratie
- Imperatives Mandat (Abgeordnete als gebundene Delegierte)
- Kritik: Unterdrückung von Minderheiten
Pluralismustheorie (Montesquieu, aktuelle Industrienationen)
- Freies politisches und gesellschaftliches Leben, Freiheitssicherung als primäres Ziel
- Keine Diskriminierung, viele gesellschaftliche Gruppen
- Parteien und ähnliche verfolgen eigenständig ihre Ziele
- Gleichberechtigung, Grundrechte
- Machtbegrenzung, Gewaltenteilung
- Immer mehrere Organisationen/Institutionen
- Politische Gegner sind keine Feinde
Verfassungsprinzipien
- Ausgangspunkt für unsere heutige Verfassung, das Grundgesetz, war die Spaltung
Deutschlands. Die Minister der BRD wollten die Spaltung nicht stärkten, daher
entwickelten sie bewusst keine Verfassung, sondern ein „Grundgesetz“ für alle deutschen.
Diese sollte ursprünglich bei der Wiedervereinigung Deutschlands durch eine richtige
Verfassung ersetzt werden. Das Grundgesetz wurde nicht vom Volk legitimiert.
- Fehler in der Vergangenheit wurden berücksichtig (Ermächtigungsgesetz, Erfahrungen aus
totalitären und sozialistischen Diktaturen)
- Es gibt eine Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative
Aufgaben und Funktionen von Parteien
- Parteiendefinition: politische Organisation mit einem bestimmten Programm, in der sich
Menschen mit gleichen politischen Überzeugungen zusammengeschlossen haben, um
bestimmte politische Ziele erreichen zu können. Parteien sind demokratisch organisiert
- Rechtliche Begründung: GG Artikel 21, EU-Vertrag Artikel 10+224. Eine Partei muss gemäß
des Parteiengesetzes alle 6 Jahre an einer Bundes- oder Landeswahl teilnehmen und ein
Programm besitzen.
- Funktionen von Parteien:
o Partizipationsfunktion: Instrument für politische Teilhabe
o Integrationsfunktion: Mitwirkungsmöglichkeit sich im politischen System
einzubinden
o Interessenarktikulationsfunktion: Parteien müssen Wählerschaft bzw. Position
zum Ausdruck bringen
o Interessensaggretionsfunktion: bei starker Konzentrierung muss es eine
besondere Gewichtung erhalten (politisches Thema)
o Interessentransmissionsfunktion: Interessen können direkt in politischen
Entscheidungsprozess eingebracht werden
o Legitimationsfunktion: Unterstützung für demokratische Werte und Prozesse
o Sozialisationsfunktion: politische Sozialisation der Bürger
o Herrschaftsfunktion: unmittelbare politische Entscheidungen treffen
o Zielfindungsfunktion: Ziele haben, Programm entwickeln, mit Bürgern
kommunizieren
o Mobilisierungsfunktion: Bürger politisch mobilisieren
, o Informationsvermittlungsfunktion: Vermittlung objektiver Informationen
- Parteitypen:
o Volks- Massenpartei: zahlreiche Mitglieder, hohe Aktivität, Berufspolitiker (CDU,
SPD)
o Wählerpartei: konzentriert sich auf den Gewinn von Wahlen, wenige Mitglieder,
professioneller Wahlkampf, lebt überwiegend von Spenden (Piraten, FDP?)
o Kaderpartei: wenige ausgewählte Mitglieder, straffe zentralistische Organisation,
viele Aktivitäten im Geheimen, versteckt sich (NSDAP, SED)
o Protestpartei: Bündelung und Bekundung politischer Unzufriedenheit mit der
etablierten Politik (Piratenpartei, AfD)
o Bewegungspartei: Herkunft aus einer sozialen Bewegung, beispielsweise Ökologie
oder Friedensbewegung (Grüne?, Linke?)
- Parteienfinanzierung: erfolgt durch staatliche Hilfen nach der Anzahl der Stimmen (1/3),
Mitgliedsbeiträge, Mandatsträgerbeiträge (Zahlungen von
Abgeordneten/Bürgermeistern/… an die Parteien, freiwillig, aber ohne Spende keine
Nominierung), Spenden und sonstige Einnahmen
Veränderungen von Parteiensystem und Parteientypen, innerparteiliche Demokratie
- Innerparteiliche Demokratie: Repräsentanten müssen aus offenen und freien
Wahlprozessen hervorgehen, hierbei müssen demokratische Mindeststandards und
Verfahrensregeln gewährleistet werden. Verfahrensweisen von politischen Parteien, bei
denen die Parteimitglieder durch Informationsfluss, Entscheidungsfindung und
Personalpolitik beteiligt werden. Niemand kann eine Partei alleine kontrollieren, die
Macht muss stets gestreut sein. Um höhere Parteigremien zu erlangen muss durch
jahrelange Arbeit die Karriereleiter hochgeklettert werden. Oben ist meistens derjenige
mit der höchsten Medienpräsenz, wodurch es zu Trägheit und schlechter Kontrolle
kommt.
Ortsebene: Mitwirkung direkt möglich
Kreisebene: Delegiertenprinzip
auf Parteitagen haben Delegierte nur begrenzte Einflussmöglichkeiten
Parlamentsfraktion/Regierung bilden eine eigene Entscheidungsagenda
Parteispitze: hat fast autonomen Handlungsspielrau
Gefahr: Parteileitung und Basis entfremden sich voneinander
Nationale Wahlen anhand von Deutschland und Wahlen der EU, Bildung der Exekutive
- Bundespräsident: Der Bundespräsident hat im internationalen Vergleich nur sehr wenig
Macht und ist vor allem für repräsentative Tätigkeiten und parlamentarischen
Krisensituationen notwendig. Er besitzt die Integrationsfunktion und soll als unabhängige
und überparteiliche Instanz fungieren, Vertrauen vermitteln und moralische Maßstäbe
setzen. Er wird von der Bundesversammlung für 5 Jahre gewählt und darf 1x
wiedergewählt werden. Die Bundesversammlung wird lediglich zu diesem Zweck gebildet
und besteht aus Mitgliedern des Bundestags und Delegierte von den Landesparlamenten.
Bundespräsident kann jeder über 40 Jahre werden. Es kann bis zu 3 Wahlgänge geben,
wenn es zuvor zu keiner absoluten Mehrheit gekommen ist. Er soll die BRD nach innen
und außen repräsentieren, er darf formelle Gesetze unterzeichnen, nach Absprache mit
anderen politischen Instanzen. Er muss die vom Bundeskanzler vorgeschlagenen Minister
ernennen und absetzen. Er übt das Begnadigungsgesetz aus.
, - Bundestag: Zentrale Stellung in der BRD. Kanzlerwahl durch den Bundestag mit absoluter
Mehrheit und Artikel 67 GG besagt, dass ein Kanzler nur ersetzt werden kann
(konstruktives Misstrauensvotum). Wird direkt durch das Volk gewählt und ist das
höchste Verfassungsorgan. Verabschiedet den Bundeshaushalt; kontrolliert, wählt und
wählt die Bundesregierung ab; wählt mit Bundesrat die Richter und Bundesgesetze.
- Bundesregierung: Exekutive Gewalt und besteht aus Bundeskanzler und Bundesministern.
Kann dem Bundestag Gesetzesentwürfe vorlegen und Stellung zu Beschlüssen nehmen.
Bundeskanzler hat das Kanzlerprinzip, bestimmt also die Grundzüge der Politik und trägt
dessen Verantwortung. Die Bundesminister leiten gemäß des Ressortprinzips ihre
jeweiligen Aufgabenbereiche nach dieser Politik. Die Aufgabenbereiche definiert der
Kanzler, falls zwei Bundesminister in einem Punkt uneinig sind gilt das Kollegialprinzip,
also der Mehrheitsbeschluss. Bundesregierung kann Vertrauensfrage stellen und
Neuwahlen bewirken, erlässt Rechtsverordnungen, beaufsichtigt die Bundesländer,
organisiert Bundesbehörden und vertritt die BRD im Ausland.
- Bundesrat: Ist das Parlament der Länderregierungen und nur Mitglieder der
Landesregierungen sind Mitglieder (keine Opposition). Insgesamt 69 Mitglieder, gestaffelt
nach Bevölkerung der Bundesländer. „Ewiges Organ“, es gibt keine Wahlen, Wahlen der
Länderparlamente werden somit indirekt zu Wahlen des Bundesrats. Ist für den Start von
Gesetzesinitiativen und die Verabschiedung von Gesetzen zuständig. Durch den Bundesrat
können die Länder Einfluss auf die Bundespolitik nehmen.
- Europäische Regelungen (Landwirtschaft, Geldpolitik, …) führen zu einer
Entparlamentisierung, wodurch es weniger Kontrollmöglichkeiten gibt. Hohe
Arbeitskapazität, Verhandlungen mit Lobbyverbänden und meist globale Probleme sind
weitere Sorgenkinder. Daher entsteht ein Spannungsfeld zwischen Exekutive (Regierung)
und Legislative (Parlament). Bundesregierung steht im ständigen Austausch mit
Verbänden und trifft oftmals über den Kopf der Parlamente Entscheidungen.
Verhandlungen oft nur im Konsens der Regierung und von Verbänden (Digitalisierung,
Klima, …) und Parlament kann nur noch zusagen, da andernfalls zukunftsweisende
Vorhaben scheitern würden. Entmachtung der Legislativen?
- EU besteht aus 27 Mitgliedsstaaten. Verordnung ist ein verbindlicher Rechtsakt, welche
alle Mitgliedsstaaten in vollem Umfang umsetzen müssen (z.B. Schutzmaßnahmen für
Warenimporte). Richtlinien sind Rechtsakte, welche ein von der EU gestecktes Ziel
erreichen sollen, jedoch müssen die Staaten eigene Rechtsvorschriften zum Erreichen
dessen erlassen (Abschaffung versteckter Internetgebühren). Beschlüsse sind an die
Zielgruppe verbindlich (Terrorprävention bestimmter Organisationen)
- EU-Prinzipien:
o Supranationalität: Die EU-Staaten geben einzelne Kompetenzen an die EU ab,
wodurch die EU Verordnungen und Beschlüsse liefern kann, welche für die
Mitgliedsstaaten verbindlich sind
o Rechtstreue: Verpflichtung sich an die EU-Richtlinien zu halten
o Subsidiarität: Die Kompetenzen der EU sind auf supranationale Dinge beschränkt,
also auf Themen, welche am besten auf europäischer Ebene geklärt werden, da es
eine bessere und gemeinsame Lösung gibt
o Kompromissbereitschaft: Verpflichtung der Staaten zur Bereitschaft von
Kompromissen. Dies ist wichtig, da die Entscheidungen der EU einstimmig sein
muss und nicht alle Meinungen immer gesamt umgesetzt werden können