Schmerz
Die psychologische Funktion des Schmerzes
Schmerz hat eine Schutzfunktion
Schmerz signalisiert eine drohende oder bereits stattfindende Schädigung
bzw. Überanspruchung des Körpers
Schmerz hat eine Warnfunktion
im Unterschied zu allen anderen Sinnesmodalitäten ist Schmerz immer* negativ
getönt
Schmerz ist sehr direkt an negative Emotionen gebunden
Schmerz kann auch erlebt werden, wenn keine körperliche Schädigung
(Gewebsschädigung) vorliegt†.
* Was ist mit Masochismus/Sadismus?
† Eine Wahrnehmung ohne Sensorpotenziale?
Was ist Schmerz: Definition
Schmerz ist nach der Definition der Internationalen Gesellschaft zum Studium des
Schmerzes (IASP) ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder
potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung
beschrieben wird.
Sinnesempfindung und negative Emotion mit Gewebeschädigung verknüpft
potenziell: Es ist ausreichend eine mögliche Gewebsschädigung wahrzunehmen, d.h.
schon eine geringe Intensität oder die Vorstellung davon ist ausreichend, um
schmerzhafte Empfindungen auszulösen
Schmerzempfinden ist auch ohne Reizaufnahme über entsprechende Sinneszellen
möglich
… oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird: „Das tut mir weh“ -
Schmerz ist immer auch ein sehr subjektives Geschehen; was für den einen
„schmerzhaft“ ist, hat für den anderen nichts mit Schmerz zu tun
Schmerz ist ein weit verbreitetes alltägliches Phänomen
Siehe Statistik
Schmerz verstehen: Aufnahme, Weiterleitung, Verarbeitung; nozizeptives System
Nozizeption
Schmerz ist „ein Erlebnis“; ein bewusster Wahrnehmungsprozess
Nozizeption beschreibt zunächst die neuronalen Prozesse des schmerzleitenden
Systems
,Biologische Psychologie
Nozizeption kann ohne bewusstes Schmerzerleben vorliegen (Schmerzreiz
Fluchtreflex)
Das nozizeptive System ist dem somotosensiblen System sehr ähnlich:
Afferente nozizeptive Fasern laufen parallel zu den somatosensiblen Fasern
Ähnliche Umschaltprozesse auf Rückenmarkebene
Teilweise identische Projektionsgebiete in subkortikalen und kortikalen
Bereichen des Gehirns
Sinneszellen für Schmerz (Nozizeptoren) sitzen in der Haut, Muskeln, Gelenke und
inneren Organen
Freie Nervenendigungen: Umwandlung von mechanischer/thermischer Energie,
chemische Einwirkungen in Aktionspotenziale
Zwei Typen:
Freie Nervenendigungen von A delta- Fasern (selten)
Freie Nervenendigungen von C-Fasern (häufig)
!!!A delta - Fasern (langsam)aber schneller als C - Fasern
Erregungsleitung
Zwei Typen von Freien Nervenendigungen
Freie Nervenendigungen von A delta-Fasern (selten, langsam)
Freie Nervenendigungen von C-Fasern (häufig, noch langsamer)
Zentralnervöse Schmerzverarbeitung
Gesicht über Pons
(Trigerminusnerv)
Finger über Rückenmark
(Spinalganglien)
Zentralnervöse
Schmerzverarbeitung;
Neocortex
,Biologische Psychologie
Primärer somatosensorischer Cortex (S1): „Primäre“/Basale Schmerzmerkmale: Ort,
Dauer, Intensität
Sekundärer somatosensorischer Cortex (S2): Ebenfalls basale Schmerzmerkmale,
aber wahrscheinlich stärker integrativ, d.h. mit Information aus anderen
Sinnesmodalitäten verknüpfend
Zunehmende Verarbeitungstiefe
Zerebrales schmerzverarbeitendes Netzwerk
Primäre/sekundäre somatosensorische Kortex
Anteriore Gyrus cinguli
Inselrinde (Insula)
Dorsolaterale präfrontale Kortex
Thalamus
Kleinhirn
Hypothalamus
Amygdala
Periaquäduktale Grau
Insula: Erhält viszerale Afferenzen, die Schmerzinformation vermitteln; wird eine Rolle
beim „Schmerzgedächtnis“ zugeteilt
Anteriorer Gyrus Cinguli (ACC): Motivationale und affektive Aspekte im
Schmerzgeschehen; affektive Qualitäten des Schmerzerlebens (Unlustgefühle/Angst)
Schmerzdimensionen
Das zerebrale Schmerzverarbeitende Netzwerk verarbeitet und
fügt die verschiedenen Schmerzdimensionen zusammen:
•Motorisch/vegetativ: z.B. Schutzreflex (spinaler Ebene);
Steigerung der Herzfrequenz (vegetatives Nervensystem)
•Sensorisch/diskriminativ: Lokalisation, Art und Intensität des
Schmerzes (Somatosensorischer Cortex)
•Kognitiv: bewusste Gefahreneinschätzung; Bewertung des
Schmerzes (Abgleich mit bisherigen
Schmerzerfahrung/Gedächtnis, frontale und parietale
Assoziationsgebiete)
•Affektiv/motivational: Unlustgefühle, Vermeidungsverhalten
(Frontaler Cortex, Cingulum in Interaktion mit „limbischen“
Strukturen)
Schmerzhemmung
Das Schmerzsystem ist mit auch mit einer Alarmanlage vergleichbar:
1)Aktivierung über Schadreize in Geweben
2)Schmerzimpulse werden im Rückenmark umgeschaltet und weiter ins
Gehirn geleitet
3)Körperliche Reaktion: Blutdruckanstieg/ Hormonausschüttung.
Zur Dämpfung des Alarmsystems werden aber auch hemmende
Impulse aktiviert, wie u.a. über das Opiatsystem
, Biologische Psychologie
Gate-Control-Theorie (S. 298) !!!
Melzack & Wall, 1965 – Integratives Schmerzmodulationskonzept
Grundgedanken:
Schmerzverarbeitung im nozizeptiven System nicht als simple Verknüpfung zwischen
schmerzhafter Reizung und Schmerzerfahrung über afferente Bahnen zu verstehen
Modulation des Signaltransports schmerzhafter Reize kann durch nicht-
schmerzleitende Fasern bereits auf einer frühen Verarbeitungsstufe, d.h. im
Rückenmark erfolgen
Es existiert gewissermaßen ein „Schmerztor“, das auf
Rückenmarksniveau schmerzhafte Reize ins Gehirn passieren
lässt oder nicht. Dieses Tor wird von zwei Prozessen beeinflusst
Gate-Control-Theorie: Erster Prozess
•In der grauen Rückenmarkssubstanz liegen an zwei Stellen (A/B) Verschaltungen
nozizeptiver Fasern mit nicht-nozizeptiven mechanosensiblen Fasern vor
•Stelle B: Nozizeptive (Schmerz) und mechanosensible Faser (Druck) konvergieren auf ein
Projektionsneuron
•Sind beide gleichzeitig aktiv so geht sowohl die Schmerzinformation als auch die
Druckinformation ins Gehirn (Schmerzinformation ist mit Druckinformation überlagert)
•Stelle A: Interneuron (spontan aktiv): hemmt das Projektionsneuron
•Schmerzfasern hemmen das Interneuron: Hemmung der Hemmung Projektionsneuro
•Druckfasern erregen das Interneuron: Steigerung der Hemmung Projektionsneuron
•Konsequenz: Je mehr Druckinformation desto weniger Aktivität des Projektionsneurons,
das (auch) die Schmerzinformation weiterleitet (schmerzdämpfender Effekt; s.
Gegenirritation)
Gate-Control-Theorie: Zweiter Prozess
•Absteigendes Schmerzhemmsystem (Top-down, aus periaquäduktalem Grau, Raphe-
Kernen)
•Hemmenden Einfluss:
(a) direkt am Projektionsneuron
(b) präsynaptisch an der Schmerzfaser
Konsequenz: weniger Aktivität des Projektionsneurons, d.h. Schmerzdämpfung
Endogene Schmerzhemmung
•Als Neurotransmitter werden im „Schmerzsystem“ i.d.R. endogene Opioide
(Endorphine) zur Vermittlung schmerzhemmender Impulse verwendet
•Bildungsort: Hypothalamus, Hypophyse (und Nebennierenmark)
•Funktion: Opioide hemmen die Freisetzung von Glutamat und Substanz P
•Neurone der absteigenden Schmerzhemmung sitzen v.a. im:
•Rückenmark, periaquäduktalem Grau, Ncl. raphe magnus, Locus subcoeruleus
Schmerzformen
Schmerzen treten in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf Neben dem akuten
Schmerz existieren chronische Schmerzzustände
Chronischer Schmerz
Bei chronischen Schmerzpatienten hat „der Schmerz“ seine Warnfunktion im
eigentlichen Sinn verloren
Das Schmerzgeschehen hat eigenständigen Krankheitswert
Der Schmerz steht im Mittelpunkt des Lebens der Patienten
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