02_Konzepte
SEM – Schmidt (2003)
Gegenstand der vergleichenden Policy-Forschung
- Policy = Inhalt politischer Entscheidungen, politische Gestaltung, materielle Politik,
Staatstätigkeit oder Regierungspraxis
- Policy meint das Tun und Lassen von Regierungen inter- und supranationaler Organisationen,
das mit Anspruch auf gesamtgesellschaftlich verbindliche Regeln erfolgt
- Policy umfasst auch Entscheidungen anderer Akteure (z.B. Lohnpolitik der Tarifparteien oder
Personalpolitik in Unternehmen)
- Zentrale Fragestellung: Wann, wie, warum, mit welchen Mitteln und mit welchem Effekt
treffen Individual- oder Kollektivakteure verbindliche Entscheidungen über die Verteilung
begehrter Güter und Werte?
- Vergleiche dienen der Identifikation kausaler oder wahrscheinlicher Zusammenhänge und
deren Überprüfung
- Der Vergleich kann auf einem historischen Längsschnitt basieren (langfristige Untersuchung
spezieller Gegenstände) oder einem Querschnitt (mehrere Vergleiche an unterschiedlichen
Stellen/Orten zum gleichen Zeitpunkt)
- Policy-Forschung will erkunden welche Produkte der politische Prozess in verschiedenen
Ländern und Zeiten hervorbringt (Entwicklung verallgemeinerbarer Theorien und
Hypothesen zur Erklärung und Prognose)
Vier Phasen der vergleichenden Policy-Forschung:
Die erste Phase:
- Grundlegende Fragestellung: Macht Politik eigentlich einen Unterschied für die Inhalte
politischer Entscheidungsprozesse? (Die Does politics matter-Frage)
- Die Fragestellung wurzelt ideengeschichtlich in der Konvergenz-, Modernisierungs- und der
Kapitalismustheorie
- Konvergenztheorie: In allen industrialisierten und sich industrialisierenden Staaten herrscht
Konvergenz
- Für die Entwicklung dieser Staaten seien die Imperative einer hochgradig komplexen
Industriegesellschaft entscheidender als politische Ideologien und system-strukturelle
politische und wirtschaftliche Unterschiede
o Unterschiede zwischen Staaten ließen sich nicht durch politische Faktoren erklären,
die bislang im Zentrum politikwissenschaftlicher Analysen standen
o Sozioökonomische Bestimmungsmethoden erwiesen sich als aussagekräftiger
Die traditionelle Politikwissenschaft schien bei der Erklärung von unterschiedlichen
Politikinhalten weitestgehend zu versagen
Die Zweite Phase:
o Grundfrage: Wie groß ist die relative Erklärungskraft, die politische und
sozioökonomische Variablen zur Erklärung von unterschiedlichen Policies
beisteuern?
o Die sozioökonomischen Erklärungsansätze bekommen Konkurrenz (z.B. zeigte sich,
dass politische Variablen in der Umverteilungspolitik viel wichtiger als
Sozioökonomische waren)
, o Im internationalen Vergleich traten die parteipolitischen Unterschiede noch stärker
hervor
o Die Hypothese vom Einfluss politischer Variablen bewährte sich, auch wenn die die
länderspezifischen unterschiedlichen sozioökonomischen Bedingungen berücksichtig
wurden
o Die Folgerung: Policies werden sowohl von sozioökonomischen als auch von
politischen Determinanten gesteuert
Den politischen und den sozioökonomischen Bestimmungsfaktoren kommt ein gleichrangiger
Status in einem offenen pluralistischen Prozess zu.
Die dritte Phase:
o Grundfrage: Auf welche Weise bestimmt Politik (im Sinne von politischen
Institutionen; polity) und politischen Prozessen (politics)) die Politik (policy)?
o Die Beiträge der dritten Phase kritisierten hauptsächlich die vorangegangenen
Generationen (Sie haben sich überwiegend auf Korrelationen zwischen Input- und
Output-Faktoren beschränkt und dabei die intervenierenden politischen Variablen
ausgeklammert)
o Kritik an Phase 1 und 2: Die fundamentale Bedeutung der intervenierenden
politischen Variablen zukommt wurde übersehen (die Ausgangsfrage „Does politics
matter? Ist falsch gestellt worden)
o Policies ließen sich als Produkt politischer Prozesse begreifen, die zwar von
sozioökonomischen oder soziokulturellen Bedingungen beeinflusst, aber nicht
gesteuert wurden
o Die Frage welche Rahmenbedingungen, mit welchen Handlungszwängen und
angesichts welcher Herausforderungen politischer, gesellschaftlicher oder
wirtschaftlicher Art entschieden wird, blieb unbeantwortet.
o Ausgehend davon wurde die Grundfrage angepasst: Auf welche Weise und im
Rahmen welcher Handlungszwänge und -grenzen wird Politik (im Sinne von Policy)
durch Politik (im Sinne von politics und polity) geprägt?
Die vierte Phase:
o Schlüsselfrage: Inwiefern wird die Staatstätigkeit auf nationalstaatlicher Ebene
durch Vorgänge der Internationalisierung sowie der Europäisierung geprägt, und
zwar in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht?
o Es ragen zwei/drei (?) Antwortmöglichkeiten heraus:
Der Handlungsspielraum der nationalstaatlichen Politik schrumpft sehr stark
Die Art und Weise der Reaktion auf die Internationalisierung und
Europäisierung hängt wesentlich von der Institutionen- und
Akteurskonstellation in den Nationalstaaten ab
Sozial- und wirtschaftspolitische Profile im internationalen Vergleich: Einige Forschungsergebnisse:
- Den meisten vergleichenden Policy-Analysen ist eine zentrale politiktheoretische Annahme
gemeinsam: Die Politik, die zweifelsohne in wirtschaftliche, gesellschaftliche und rechtliche
Handlungszwänge und -grenzen eingebunden ist, relativ autonom in ihren Wahlhandlungen
- Dabei steht der Regierungspolitik ein Handlungskorridor zur Verfügung
, - Die Grenzen dieses Korridors sind gesteckt durch allgemein akzeptierte Verfahrensregeln für
Konfliktaustragung und Kosensbildung:
o Untere Grenze:
Den vom Vorgänger ererbten Spielraum
o Obere Grenze:
Die historisch gewachsene Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft
- Inwieweit der Spielraum des Handlungskorridors ausgenutzt wird, hängt von vielen
Bedingungen ab (z.B. die politische Machtverteilung, das Wollen und Können von
Regierungsparteien, der Problemdruck usw.)
- Struktur und Größe des Handlungskorridors variiert von Land zu Land (Schweden vs. USA /
sozialdemokratischer Wohlfahrtskapitalismus vs. Machtdominierter Kapitalismus)
- Viele Länder bewegen sich politisch in der „Mitte“
- Die Ausnutzung des Handlungskorridors ermöglicht und erschwert bestimmte
Handlungsmöglichkeiten (Staaten der „Mittegruppe“ haben z.B. jene Regierungen Probleme,
die ihre Handlungsgrenzen nach oben zu dehnen versuchen)
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen von Regierungspolitik:
- Was bewirkt Regierungspolitik?
- Es lässt sich nicht bruchlos von politischen Entscheidungsinhalten (policy) auf ihre Wirkung
(impact) und ihre langfristigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen
(outcome) schließen
- Viele Analysen zeigen, dass Regierungspolitiken wichtig sind (Quantitative Veränderungen
ziehen häufig qualitative Veränderungen nach sich
- Das Mehr des Staates bringt neben mehr Sicherheit auch eine stärkere Bürokratisierung, eine
höhere Regelungsdichte und mehr Abgabenlasten mit sich
- Die Expansion staatlicher Güter hat eine neue Klassenlage und Konflikte um die Verteilung
von Lasten finanzieller Konsolidierung der Staatsfinanzen mit sich gebracht.
Probleme der vergleichenden Policy-Forschung:
- Fokus: Der regionale Schwerpunkt der Policy-Forschung liegt auf den westlichen
Industrieländern. Dabei werden die sozialistischen Industrieländer und andere Regionen
außerhalb Europas vernachlässigt und weniger ausführlich untersucht.
- Selektivität: Die meisten Policy-Forschenden konzentrieren sich auf Staaten du Politikfelder,
für die es einigermaßen verlässliche vergleichbare Daten gibt (Länder mit schlechterer
Datenlage oder Schwierigkeiten in der Datenerhebung werden vernachlässigt)
- Spezifische Perioden: Die meisten Policy-Analysen untersuchen Phänomene, die nach dem
Zweiten Weltkrieg liegen (insbesondere die Zeit ab den 60ern)
- Die große Schwerpunktsetzung hat zu einem großen Wissensstand in den
Schwerpunktbereichen geführt (die Menge der vorliegenden Befunde birgt das Risiko von
Verallgemeinerungen (Generalisierungen) und Widersprüchlichkeit)
SEM - Wenzelburger_Zohlnhöfer
- Policy-Analyse untersucht was Regierungen tun, warum sie es tun und welche Effekte das
Handeln hat (Thomas R. Dye)
- Muss um den Zusatz unabhängiger Institutionen und Interessensgruppen erweitert werden
- Die heutige Policy-Forschung verfolgt im Gegensatz zu ihren historischen
Vorgängerwissenschaften in erster Linie analytische Interessen und strebt vorwiegend nicht
danach, die Politik zu verbessern
, - Die analytisch ausgerichtete Policy-Forschung untersucht, wie Politiken (also gesellschaftlich
verbindliche Entscheidungen) zustande kommen
- Um zu verstehen, wie Politik funktioniert, welche Interessen sie durchsetzt und warum, muss
untersucht werden, welche Entscheidungen politische Systeme produzieren
Der Policy-Zyklus:
- Problemwahrnehmung und -definition:
o Zustände müssen erst als Probleme definiert werden, bevor politisches Handeln
stattfinden kann
o Politische Macht drückt sich teilweise dadurch aus bestimmt Themen von der
Agenda fernzuhalten
o Die Art wie Probleme definiert werden lenkt die Reaktionen über ebendiese
o Gelingt es einen Zustand als politisches Problem zu definieren gelangt es auf die
Agenda
- Agenda-Setting:
o Die Agenda ist mit vielen routinemäßigen Themen gefüllt, nicht nur mit Problemen
o Gelangt ein Problem auf die Agenda, kann nach Lösungen gesucht werden
o Dafür werden Policies gesucht, die in der Lage sind das Problem zu lösen und die in
der Lage sind Mehrheiten zu generieren (dadurch wird die Menge möglicher Policies
massiv eingeschränkt)
- Politikformulierung:
o Vetospieler können eine Implementierung verhindern, um beispielsweise den Status
quo beizubehalten (Regierungsparteien, mit Vetorechten ausgestatte Präsidenten
und andere Akteure könnten solche Vetospieler sein)
o Auch WählerInnen können eine Art Vetospieler sein, denn da Regierungen nicht nur
eine bestimmte Policy durchsetzen wollen, sondern auch ihre Wiederwahl
anstreben, ist für sie bedeutsam, wie populär eine Policy für die Wählerschaft ist
o Mit der Verabschiedung eines Gesetzes ist der Zyklus noch nicht abgeschlossen
o Ob eine Reform die gewünschten Effekte erzielt hängt auch von ihrer
Implementation ab. (Gesetze lassen der Verwaltung und den Gerichten häufig viele
Interpretationsspielräume)
- Implementation:
o Die Gesetze oder Reformen werden eingesetzt und ausgeführt
o Interpretationsspielraum bei der Implementation durch Behörden
- Evaluation:
o Der Erfolg der Reformen wird untersucht, um zu gewährleisten, dass die
Maßnahmen wirksam sind und nachweislich die gesellschaftliche Wirklichkeit
beeinflussen (z.B. durch wissenschaftliche Studien)
o Der Erfolg einzelner Maßnahmen wird umfassend analysiert
o Eventuell kommt es zum Politiklernen
o Es ergibt sich ein Feedback für eine potenzielle Neudefinition eines Problems oder
die Nachjustierung einer Policy