02_Konzepte_Schmidt_Grundlagen
Gegenstand der vergleichenden Policy-Forschung
- Policy = Inhalt politischer Entscheidungen, politische Gestaltung, materielle Politik,
Staatstätigkeit oder Regierungspraxis
- Policy meint das Tun und Lassen von Regierungen inter- und supranationaler Organisationen,
das mit Anspruch auf gesamtgesellschaftlich verbindliche Regeln erfolgt
- Policy umfasst auch Entscheidungen anderer Akteure (z.B. Lohnpolitik der Tarifparteien oder
Personalpolitik in Unternehmen)
- Zentrale Fragestellung: Wann, wie, warum, mit welchen Mitteln und mit welchem Effekt
treffen Individual- oder Kollektivakteure verbindliche Entscheidungen über die Verteilung
begehrter Güter und Werte?
- Vergleiche dienen der Identifikation kausaler oder wahrscheinlicher Zusammenhänge und
deren Überprüfung
- Der Vergleich kann auf einem historischen Längsschnitt basieren (langfristige Untersuchung
spezieller Gegenstände) oder einem Querschnitt (mehrere Vergleiche an unterschiedlichen
Stellen/Orten zum gleichen Zeitpunkt)
- Policy-Forschung will erkunden welche Produkte der politische Prozess in verschiedenen
Ländern und Zeiten hervorbringt (Entwicklung verallgemeinerbarer Theorien und
Hypothesen zur Erklärung und Prognose)
Vier Phasen der vergleichenden Policy-Forschung:
Die erste Phase:
- Grundlegende Fragestellung: Macht Politik eigentlich einen Unterschied für die Inhalte
politischer Entscheidungsprozesse? (Die Does politics matter-Frage)
- Die Fragestellung wurzelt ideengeschichtlich in der Konvergenz-, Modernisierungs- und der
Kapitalismustheorie
- Konvergenztheorie: In allen industrialisierten und sich industrialisierenden Staaten herrscht
Konvergenz
- Für die Entwicklung dieser Staaten seien die Imperative einer hochgradig komplexen
Industriegesellschaft entscheidender als politische Ideologien und system-strukturelle
politische und wirtschaftliche Unterschiede
o Unterschiede zwischen Staaten ließen sich nicht durch politische Faktoren erklären,
die bislang im Zentrum politikwissenschaftlicher Analysen standen
o Sozioökonomische Bestimmungsmethoden erwiesen sich als aussagekräftiger
Die traditionelle Politikwissenschaft schien bei der Erklärung von unterschiedlichen
Politikinhalten weitestgehend zu versagen
Die Zweite Phase:
o Grundfrage: Wie groß ist die relative Erklärungskraft, die politische und
sozioökonomische Variablen zur Erklärung von unterschiedlichen Policies
beisteuern?
o Die sozioökonomischen Erklärungsansätze bekommen Konkurrenz (z.B. zeigte sich,
dass politische Variablen in der Umverteilungspolitik viel wichtiger als
Sozioökonomische waren)
,02_Konzepte_Grundlage der Policy-Forschung_Seminar_Degen
Politkfeldanalyse, Politikzyklus und Policy-Typen
„Ein Politikfeld ist definiert ist eine spezifische und auf Dauer angelegte Konstellation sich
aufeinander beziehender Probleme, Akteure, Institutionen und Instrumente.“ (Loer et al.)
1. Wiederholung
- Policy-Forschung ist ein Teilbereich der vergleichenden Politikwissenschaften
- Die mit zwei weiteren Bereichen genannt werden muss (Politische Theorie,
Internationale Beziehungen)
- Policy-Forschende interessieren sich von Policies, also dem Inhalt des
Regierungshandelns (Abgrenzung von polity und politics)
- Dabei werde outputs von outcomes unterschieden
- Outpust = Sind politische Entscheidungen (z.B. Gesetze, Beispiel: Arbeitsmarktreformen)
- Outcomes = Die gewünschten oder unerwünschten Auswirkungen dieser Entscheidungen
(Beispiel: Entwicklung der Arbeitslosenzahlen)
- Polity = Institutionellen Rahmenbedingungen
- Politics = Die politischen Prozesse
- Die Policy-Forschung beschäftigt sich
o Mit dem Inhalt politischer Entscheidungen (deskriptiver Charakter)
o Den Determinanten der politischen Entscheidungen (analytischer Charakter)
o Den Auswirkungen politischer Entscheidungen (evaluativer Charakter)
Leitfragen der aktuellen Sitzung:
Was ist Politikfeldanalyse und wie hat sie sich im Zeitverlauf entwickelt?
Welche Phasen unterscheidet der Politikzyklus und inwiefern kann der Policy-Typ den politischen
Prozess beeinflussen?
Zentrale Fragestellung:
- „what governments do, why they do it, and what differnce it makes“ (Dye, 1977)
o Der Fokus liegt auf dem Regierungshandeln, daher gibt es weitere detailliertere
Aussagen, die die zentrale Fragestellung der Policy-Forschung entschlüsseln
möchten
o Engeres Politikverständnis
- „Wann, wie, warum, mit welchen Mitteln und mit welchem Effekt treffen Individual- und
Kollektivakteure verbindliche Entscheidungen über die Verteilung begehrter Güter und
Werte?“ (Schmidt, 2003)
o Weiteres Politikverständnis
- Die beiden Zitate zeigen: Es gibt verschiedene Verständnisse von Policy
- Dabei unterscheiden sich das engere und das weitere Politikverständnis :
o Engeres Politikverständnis:
Staatszentrierte Perspektive (es werden nur staatliche Akteure
beobachtet, z.B. Regierungen)
o Weiteres Politikverständnis:
Es werden auch andere nicht-staatliche Akteure beobachtet (z.B. NGOs)
,POL_P6 / Policy-Forschung
Sitzung 3: Policy-Wandel und Atomausstieg(e):
Christian Huß, „Durch Fukushima zum neuen Konsens? – Die Umweltpolitik von 2009 bis 2013“
- Umweltpolitik schafft es nur selten auf Spitzenplätze der politischen Agenda der
Bundesregierung
- Der Problemkomplex Klimawandel führt hingegen zu einer generellen Verankerung des
Problems
- Die Dominanz sorgte für eine Überlagerung der herkömmlichen Umweltpolitik (klimapolitisch
motivierte Energiepolitik)
- Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) tragende Säule im Ausbau erneuerbarer Energien
- Nutzung der Atomenergie nach rot-grünem „Atomkonsens“ hoch umstritten, zumal die
Regierungskoalition (CDU, CSU, FDP) in der Umweltpolitik für eine Laufzeitverlängerung der
AKWs und einen mittel- bis langfristigen Wechsel zu erneuerbaren Energien bewarben
- Kern des Textes:
o Wesentliche Schlüsselentscheidungen der Regierung Merkel II (erste Hälft der
zweiten großen Koalition) beleuchten und zentrale Bestimmungsfaktoren
identifizieren
o Warum wurde die Umweltpolitik in der 17. Legislatur zu einem zentralen Politikfeld?
Ausgangslage zu Beginn der Legislaturperiode
- „Parties-Matter-Hypothese“ erlaubt es der Regierung nach dem Regierungswechsel 2009 die
Umweltpolitik entsprechend ihrer Vorstellungen zu verändern
- Durch de Beteiligung der FDP konnte mit einer auf wirtschaftliche Interessen zielende Politik
erwartet werden (, die zu Lasten umweltpolitischer Gesichtspunkte ging)
- Revision der Umweltpolitik war nicht zu erwarte: Klimaschutzpolitik = breiter politischer
Konsens in Deutschland
- Die Policy-Positionen von SPD und Union hatten sich im Laufe der gemeinsamen Regierung in
Umwelt- und Klimapolitik angenähert (die Frage der Laufzeitverlängerung wurde ein
identitätsstiftendes Abgrenzungsmerkmal zwischen den Parteien)
- SPD = gegen Lockerung des Ausstiegsbeschlusses, „Brücke“ durch effiziente Kohle- und
Gaskraftwerke
- Union = für Lockerungen, Atomenergie als Brückentechnologie bis zum Durchbruch
regenerativer Energien
- Grüne = Energiesparen und höhere Energieeffizienz (schneller Wechsel zu erneuerbaren
Energien wird als technisch und finanziell machbar angesehen)
- Mehrdeutige unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungen was Probleme und
Phänomene betrifft sind nicht zielführend, es bedarf eindeutiger politischer Entscheidungen
für (temporäre) Lösungen
- Das Auftreten plötzlicher Krisen, sich verschlechternde Politikindikatoren oder symbolhafte
Veränderungen können einen Policy-Wandel auslösen
- Besonders, wenn ein Problem schon verfügbar ist
o Die Energiepolitik ist von Unsicherheiten geprägt (Macht der Bundesregierung ist
nicht unbeschränkt, Dynamik des Parteienwettbewerbs, Existenz des Vetopunkts
Bundesrat, interne Differenzen der Bundesregierung)
, BA-Pflichtmodul POL_P6 / Grundlagen der Policy-Forschung / Lida Degen / 19.11.2020
3. Sitzung: Politikwandel und Atomausstieg(e)
Fragen: Bauen die Ordnungsstufen der Reichweite des Wandels aufeinander auf?
Wiederholung der letzten Sitzung
- Politikzyklus
o Definiert verschiedene Phasen im Politikprozess und definiert sie
o Akteure voneinander unterschieden
o Vor und Nachteile besprochen
o Schwäche: Erweiterung nach Hogwood und Peters
Nicht nur Terminierung als mögliche Outcome, sondern zwei weitere:
Policy-Maintenance
Policy-Succession (warum ist es der häufigste Outcome? Haben wir
diskutiert)
Stellt für die Autoren 3 der 4 Extremfälle des Policy-Wandels dar
Termination, Policy-Maintenance, Policy-Succession, Policy-
Innovation (kein Outcome)
In der Empirie selten anzutreffen
ACHTUNG! Die Autoren definieren den Begriff Outcome anders, als
wir es im Seminar tun
WICHTIG! Outcome ist hier nicht der Effekt oder die Auswirkung
einer Policy, sondern eher ein Resultat (der Begriff der Policy wird
nicht mit eingeschlossen)
- Policy-Typen nach Lowi:
o „Politicies determine politics“ (Lowi, 1972) Politikinhalte sind entscheidend für
Politikprozesse
o Distributiv
o Redistributiv
o Regulativ
o Unterschiedliche Politikarenen mit jeweils verschiedenen Konflikt- und
Konsensbildungsprozessen (ergeben sich aus den Eigenarten der Policy-Typen)
o Zentrale Bestimmungsfaktoren nach Lowi sind Kosten und Nutzen, die von den
Betroffenen erwartet werden (antizipierte Kosten und Nutzen, nicht die wirklich
eintretenden)