Zusammenfassung
Sozialpsychologie – Fernlehrbrief 1: Selbst, Persönlichkeit und soziale Motive
Sozialpsychologie = … ist der Versuch, zu verstehen und zu erklären, wie die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen
von Personen durch tatsächliche, vorgestellte oder implizite Anwesenheit anderer Menschen beeinflusst werden
(Allport, 1954).
Kapitel 1: Selbst
«Im ersten Kapitel werden psychologische Theorien zum Selbstkonzept und Selbstwertgefühl sowie deren Auswirkungen auf die
menschliche Verhaltensweise erörtert.»
1.1. Quellen des Selbstkonzepts und des Selbstwertgefühls
Schlüsselbegriffe:
❖ Selbstkonzept und Selbstwertgefühl
❖ Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung
❖ Selbstaufmerksamkeit
❖ Selbstdarstellung
❖ Selbstwirksamkeit und Selbstregulation
❖ Selbstkonzept: Das Selbstkonzept einer Person meint die Annahmen, die Personen hinsichtlich ihrer eigenen
Eigenschaften und Fähigkeiten versehen, bspw. Einschätzungen darüber, ob sie kreativ, intelligent oder sportlich sind.
Diese Selbsteinschätzungen in der Gesamtheit bilden das Selbst bzw. das Selbstkonzept einer Person («Wer bin ich?»,
«Was kann ich?»)
❖ Selbstwertgefühl: Positive und negative subjektive Bewertungen der Selbsteinschätzungen in Summe ergeben das
Selbstwertgefühl.
❖ Das Selbstkonzept und das Selbstwertgefühl resultieren aus einer Vielzahl von Ereignissen und Gegebenheiten.
Selbstwertbezogene Informationen werden dabei oft nicht objektiv verarbeitet.
❖ Selbstwertschutz/-Erhöhung: Vielmehr ist die Verarbeitung dadurch motiviert, dass eigene Selbstwertgefühl zu schützen
bzw. zu erhöhen.
Überblick über die Strategien zum Selbstwertschutz und zur Selbstwerterhöhung:
1. Self-serving-bias: Eigene Erfolge intern, eigene Misserfolge extern attribuieren.
2. Selektive Informationssuche: Aktive Suche nach selbstwertdienlichen Informationen über die eigene Person
3. Self-handicapping: Hinderliche Umstände für die eigene Leistungserbringung erzeugen / betonen
4. Sandbagging: Vor Leistungssituationen die eigenen Möglichkeiten herunterspielen
5. Above average effect: Eigene Fähigkeiten als überdurchschnittlich wahrnehmen
6. False consensus effect: Die Annahme verbreitete und akzeptierte Meinungen zu besitzen
1
,7. Downward comparison: Auswahl von den Vergleichspersonen, die schlechter abschneiden als man selbst
1.1.1. Selbstwahrnehmung und selbstbezogene
Attributionsprozesse
❖ Personen nehmen ihre eigenen
Verhaltensweisen, Gefühle, Gedanken und
körperlichen Zustände wahr und ziehen aus
dieser Selbstbeobachtung Rückschlüsse auf
eigene Fähigkeiten und Eigenschaften.
❖ Selbstwahrnehmungstheorie (Bem, 1972):
Personen besitzen im Moment des Handelns oftmals
nicht genug Informationen um eigene Gefühle und
andere interne Zustände genau benennen zu können. Sie
sind daher in der gleichen Lage wie ein außenstehender
Beobachter, der aus Verhaltensbeobachtungen auf
interne Zustände schließen muss (Bspw. Ich hefte meine
Vorlesungsmitschriften nach jeder Vorlesung ordentlich
ab → Ich bin ordnungsliebend und selbstdiszipliniert).
❖ Attributionsasymmetrie:
Eigene Leistungserfolge werden vorwiegend auf interne Faktoren wie Fähigkeiten und Anstrengung, eigene Misserfolge dagegen
auf externe Faktoren zurückgeführt, wie Aufgabenschwierigkeit oder Pech. Diese Attributionsasymmetrie bezeichnet man auch
als selbstwertdienliche Attribution (self-serving-bias) und konnte in vielen Studien (u.a. Snyder, Stephan, Rosenfield (1976) bei
wettbewerbsorientierten Spielen; Bernstein, Stephan, Davis (1979) bei Studierenden nach einer Prüfung und Ross & Sicoly (1979)
bei Gruppenleistungen)
❖ Self-handicapping:
Eine Strategie selbstwertdienliche Attributionen quasi aktiv vorzubereiten besteht im sogenannten Self-handicapping (bspw.
Deppe & Harackiewicz, 1996). Um eine defensive, selbstwertdienliche Attribution vorzubereiten legt sich eine Person ein
«Handicap» zu, bspw. unausgeschlafen zu einer Prüfung anzutreten. So soll nach erbrachter Leistung ein möglicher Misserfolg
verantwortlich gemacht werden bzw. ein möglicher Erfolg aufgewertet.
❖ Sandbagging:
Eine weitere Möglichkeit selbstwertschützende bzw. -erhöhende Attributionen vorzubereiten (u.a. Gibson & Sachau, 2000)
beschreibt das Verhalten, vor Leistungssituationen die eigenen Leistungsmöglichkeiten eher herunterzuspielen und damit die
Erwartungshaltung anderer Personen gering zu halten. Schlechte Ergebnisse sind so konform mit der eigenen Vorhersage
(selbstwertschützend) und positive Ereignisse über dem vermeintlichen Leistungsniveau (selbstwerterhöhend).
❖ Above average und false consensus:
Selbsteinschätzungen von Personen über ihr Verhalten fallen also in bestimmten Situationen systematisch positiver aus, als die
Einschätzungen von Beobachtern. Zum einen damit, dass sie wahrnehmen positive Eigenschaften in einem höheren und negative
in einem geringeren Ausmaß als andere Personen zu besitzen («above average effect») und auch damit, verbreitete und
akzeptierte Meinungen zu vertreten und zu überschätzen inwieweit andere ihre Meinung wirklich teilen («false consensus effect»).
1.1.2. Soziale Rückmeldungen und Auswahl neuer Informationen
❖ Auch in sozialen Interaktionen lernen Personen häufig etwas über den Wert der eigenen Person, indem sie bspw.
erfahren, wie andere sie wahrnehmen und bewerten.
2
, ❖ Symbolischer Interaktionismus (bspw. Mead, 1934):
Ansicht, dass Personen sich die Auffassung anderer über ihre Person zu Eigen machen. Akzentuiert durch Cooley (1902) mit dem
Bild des «looking-glass-self», das aussagt, dass das Selbstkonzept einer Person einem Spiegel gleicht, der die Einschätzungen
bedeutsamer anderer Personen wiedergibt.
Neben direkten Rückmeldungen- und Eigenschaftszuweisungen können Personen auch auf interpretativem Weg aus dem
Verhalten anderer Personen ihnen gegenüber Informationen ableiten (Meyer & Plöger, 1979, Paradoxe Wirkung von Lob und
Tadel).
Rückmeldungen haben einen stärkeren Einfluss, wenn sie positiv vom eigenen, bisherigen Selbstkonzept abweichen oder dazu
beitragen gewünschte, noch nicht erreichte Aspekte des Selbstkonzepts zu realisieren. Bei Selbstkonzeptdimensionen mit sicheren
Einschätzungen werden v.a. bestätigende Rückmeldungen zur Kenntnis genommen.
❖ Selbstwertdienliche Informationssuche:
Nicht nur soziale Rückmeldungen werden in selbstwertdienlicher Weise bewertet, auch suchen Personen aktiv stärker nach
selbstwertdienlichen als nach selbstwertbedrohlichen Informationen über die eigene Person (Frey, 1981, Intelligenztests mit
persönlicher Ergebnisrückmeldung aus anschließender Auswahl über Text von Validität von Intelligenztests oder Zweifeln an
Validität von Intelligenztests).
1.1.3. Sozialer Vergleich
Auch soziale Vergleichsprozesse können als eine wichtige Quelle selbstbezogener Information betrachtet werden. Personen
erfahren über den Vergleich mit anderen etwas über ihre eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften.
❖ Theorie der sozialen Vergleichsprozesse:
Bedeutung von Vergleichsprozessen bei der Gewinnung selbstbezogenen Wissens ist von verschiedenen
sozialpsychologischen Theorien betont worden (u.a. Theorie der sozialen Vergleichsprozesse, Theorie der sozialen Identität).
Die Fähigkeit zum sozialen Vergleich muss dabei vermutlich erst erlernt werden, da sie gewisse kognitive Operationen
brauchen, die erst im Verlauf der Entwicklung erworben werden (Frey & Ruble, 1985, Einschätzung eigener Fähigkeiten von
Kindern während der Schullaufbahn durch sozialen Vergleich). Sozialer Vergleich gibt Anhaltspunkte über ähnliche, unter-
oder überdurchschnittliche Leistungen.
❖ Downward comparison:
Soziale Vergleichsprozesse mit dem Ziel der Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls (nicht der korrekten Einschätzung
der eigenen Fähigkeiten). So werden bei sozialen Vergleichsprozessen häufig Personen ausgewählt, die schlechter
abschneiden als man selbst oder Vergleichspersonen werden abgewertet.
❖ Persönliche Standards und Ziele:
Ergeben sich auch aus Vergleichsprozessen. Vergleich mit Topmodels kann bspw. Ideal eines extrem schlanken Körpers
begründen und die Nichterfüllung oder Erfüllung dieses Ideals das Selbstwertgefühl positiv oder negativ beeinflussen.
1.1.4. Fazit aus den drei Hauptpfeilern des Selbstkonzept und Selbstwertgefühls
Theorie des Selbstwertschutzes und der Kontroverse Selbstwerttheorie vs.
Selbstwerterhöhung (Dauenheimer, Stahlberg, Frey Selbstkonsistenztheorie
& Petersen, 2002)
Selbstwertrelevante Informationen werden nicht Es gibt auch Studien, die zeigen, dass einige der
objektiv verarbeitet, sondern die Verarbeitung ist genannten selbstwertdienlichen Verzerrungen nicht
häufig dadurch motiviert, ein hohes Selbstwertgefühl bei Personen mit geringem Selbstwertgefühl und
zu erlangen. Depressiven auftreten (Kontroverse
Selbstwerttheorie).
3
, Wunsch nach einem hohen Selbstwertgefühl also Diese Untersuchungen bilden die Basis für eine
zentralen Motiv bei der Suche und Verarbeitung weitere Selbstwerttheorie, nämlich der
selbstwertbezogener Informationen. Selbstkonsistenztheorie (Petersen & Stahlberg,
1995).
Gesunder Mechanismus: wie ein Immunsystem
schützt eine derartige Informationsverarbeitung das Sie besagt, dass Personen motiviert sind, ihr Bild über
Selbst vor bedrohlichen Informationen. Wird sich zu bestätigen, auch wenn es negativ ist.
problematisch, wenn Personen daher annehmen,
dass sie keine Verbesserung ihrer Fähigkeiten mehr
benötigen oder Aufgaben annehmen, denen sie nicht
gewachsen sind.
Diese Kontroverse wird weiterhin diskutiert und erforscht. Petersen & Stahlberg (1995) konnten nachweisen, dass in Bereichen,
in denen man bislang nur wenig Selbstwissen hat, die Informationsverarbeitung eher im Sinne der Selbstwertschutztheorie und in
gut vernetzten Bereichen mit umfangreichem Selbstwissen eher im Sinne der Selbstkonsistenztheorie erfolgt.
1.2. Selbstaufmerksamkeit und Selbstüberwachung
❖ Theorie der Selbstaufmerksamkeit (Duval & Wicklund, 1972):
Postuliert, dass Personen ihre Aufmerksamkeit entweder überwiegend nach außen, also auf die Umwelt und externe Ereignisse
(Person richtet als Subjekt die Aufmerksamkeit auf die Umwelt) oder nach innen, also auf ihr Selbst (Person rückt als Objekt in den
Fokus der eigenen Aufmerksamkeit) richten können.
❖ Trait self-consciousness / state-self awareness (Fenigstein, Scheier & Buss, 1975):
Unterscheidung zwischen einer interindividuell unterschiedlich ausgeprägten Disposition zur objektiven Selbstaufmerksamkeit
(trait self-consciousness), also dem Ausmaß in welchem Personen sich selbst reflektieren und einem situativ induzierten Zustand
der Selbstaufmerksamkeit (state self-awareness), bspw. herbeigeführt durch Reize die auf die eigene Person lenken (Spiegel,
Tonband mit eigener Stimme).
Dabei zeigen sich vier Effekte (sowohl dispositioneller als auch situativer) Selbstaufmerksamkeit:
Erhöhte Selbstaufmerksamkeit, …
1) … steigert das Bewusstsein über und damit die Empfänglichkeit für eigene Einstellungen, Reaktionen und Affekte.
Personen zeigen also intensivere Affekte (bspw. Attraktion, Abscheu, …) oder affektbezogene Reaktionen (bspw.
Aggression).
2) … verstärkt das Bewusstsein über Diskrepanzen zwischen idealem und realem Selbst.
Wahrgenommene positive, als auch negative Diskrepanzen werden positiver bzw. negativer beurteilt als bei
Vergleichsgruppen mit geringerer Selbstaufmerksamkeit.
3) … verstärkt die Motivation Selbst-Standard-Diskrepanzen zu reduzieren, sofern diese aversiv (ungewollt) sind.
Dazu können Personen ihr Verhalten anpassen, oder ihre Ideale entsprechend verändern.
4) … wird vermieden, wenn eine geringe Erfolgserwartung bzgl. der Reduktion einer aversiven Diskrepanz erwartet wird.
Zustand der Selbstaufmerksamkeit bzw. diesen Zustand induzierende Stimuli werden vermieden, wenn Personen
erwarten, dass sie eine aversive Diskrepanz weder durch Anpassen ihres Verhaltens, noch durch Anpassung des Standards
verringern können.
1.3. Selbstdarstellung
❖ Selbstdarstellung (Turnley & Bolino, 2001):
Selbstdarstellung bezeichnet das Verhalten von Personen (d.h. ihren Versuch den Eindruck, den andere Personen von ihr haben,
in bestimmter Art und Weise zu beeinflussen) und nicht dessen Effektivität. Die verschiedenen Manifestationen dieses Phänomens
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