Klinische Psychologie
- Umfasst Störungslehre (Psychopathologie, Abnormal Psychology)), klinisch-
psychologische Diagnostik, Beratung (Counselling), Psychotherapie
- Kümmert sich um psychische Störungen und psychische Aspekte körperlicher
Erkrankungen
- Grundlage: psychische Normalität/Gesundheit und Störung/Krankheit voneinander
abgrenzen durch Normvorstellungen
- Psychische Gesundheit und psychische Störungen sind zu definierende
psychologische Konstrukte
- Fortschritte konnten durch Kooperation mit folgenden Bereichen der Psychologie
erzielt werden:
o Allgemeine Psychologie (Lern- und Kognitionspsychologie)
o Neuro-, biologische Psychologie
o Entwicklungspsychologie, Entwicklungspathologie
o Sozialpsychologie (interpersonelle Aspekte)
- Gemeinsamkeit mit differentieller Psychologie: beschreiben und erklären individuelle
Unterschiede in einzelnen psychologischen Merkmalen und relativ überdauernde
Persönlichkeitseigenschaften, Abgrenzung zu anderen psychologischen Fächern, da
stehen meist Gemeinsamkeiten von Verhaltensmerkmalen im Mittelpunkt
- Beziehung zur Psychiatrie: Gemeinsamkeiten im Bereich der Störungslehre und
klinischen Interventionen, aber Psychopharmaka nur von Psychiatern zu
verschreiben, außer in einigen US-Bundesstaaten
- Medizinische Psychologie: befasst sich mit psychischen Aspekten körperlicher
Erkrankungen, gelehrt in der Ausbildung
- Verhaltensmedizin: interdisziplinär psychologisch-medizinisches Forschungs- und
Praxisfeld, hervorgegangen aus Psychosomatik, beschäftigt sich mit Zusammenspiel
zwischen psychischen und körperlichen Prozessen bei Störungen und Erkrankungen
Störung und Gesundheit als Psychologische Konstrukte
- Psychische Störung: Zentral in klinischer Psychologie, beschreibt psychische
Leidenszustände der Betroffenen, aber auch psychische Problemkonstellationen, die
die Umwelt feststellen
o Wissenschaftlich nicht eindeutig definierbar, keine feststehende Entität,
Definition folgt nach aktuellem Stand sozialer Normen,
grundlangewissenschaftlicher Forschung und Stand der Praxis
o Deswegen ist eine Störung methodisch betrachtet ein Konstrukt, auf das sich
Gesellschaft und Experten geeinigt haben
- Psychische Krankheit als Begriff veraltet, denn psychische Störungen sind nicht
ausschließlich somatisch-biologischer Ursache, wie es körperliche Erkrankungen
sind, psychische Störungen erklären neben biologischen Ätiologiefaktoren vielmehr
durch psychische und soziale Ursachen, Störungsbegriff vermutlich weniger
stigmatisierend
- Abgrenzung „krank“ und „gesund“ ist ein grundlegendes Problem, da es
Konsequenzen mit sich zieht, z.B.:
o Ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl: Auflehnung Andersdenkender gegen
herrschende Verhältnisse, Aktivisten werden psychisch pathologisiert
o Homosexualität als Krankheit durch vorliegende (kirchliche) Sexualmoral
Konstrukt psychischer Störungen ist nur jeweiligen in Bezugsystem von Normen
sinnvoll anwendbar, Normentypen:
, o Subjektive Norm: Abweichen von der Norm der eigenen Befindlichkeit,
Betroffene leiden, fühlen sich stark eingeschränkt, ist schwer zu objektivieren,
reicht nicht als alleiniges Bezugssystem
o Statistische Norm: Abweichung von der Norm der Häufigkeitsverteilung,
Schwellenwerte müssen festgelegt werden, Problem: Häufigkeit variiert in
zwei Richtungen
o Ideal-, Funktionsnorm: Annahme eines eindeutigen idealen psychischen
Funktionierens, Problem: betrachtet man Fortpflanzung als einzige Funktion
der Sexualität, müsste Homosexualität als Störung angesehen werden, aber
heute sind Sexualwissenschaftler der Meinung, dass Sexualität auch
kommunikative und Lustaspekte hat, also Homosexualität keine Störung
o Soziale Norm: Abweichen von gesellschaftlichen Konventionen und Regeln,
Grundlage für Pathologisierung von Andersdenkenden in Diktaturen, durch
kulturelle Unterschiede geprägt
Normentypen sind nur als relativ gültige Hinweise zur Feststellung psychischer
Störungen benutzbar
Normalität ist nicht als idealweise anstrebender Zustand anzusehen, denn
Überangepasstheit führt häufig zu Beeinträchtigungen/Leidenszuständen wie
Perfektionismus, Depression, Zwänge, Essstörungen
- Annäherungsweise Definition für psychische Störungen mit folgenden Kriterien:
o Psychisches Leid der Betroffenen
o Erhebliche psychische Fehlanpassung im Erleben/Verhalten, wobei Kontakt
zur Realität oder Fähigkeit zur Selbstkontrolle andauernd verloren gegangen
ist
o Veränderungen im Erleben/Verhalten geht über verständlich, kulturell
sanktionierte Reaktion auf ein Ereignis hinaus
o Spezifisch definiertes Störungskonzept aus Wissensbestand der klinischen
Psychologie, Psychiatrie und Experten der Weltgesundheitsorganisation
(WHO, als Absicherung)
Psychische Gesundheit, Ressourcen und psychische Stärken
- Konstrukt psychischer Stärken ist beobachter- und normenabhängig, Definitionen u.
a. von Krankenversicherung und Wissenschaftlern abhängig
- Vorwurf: Psychologie konzentriere sich auf negative Themen und vernachlässige
positive Phänomene
- Definition der Gesundheit nach WHO (1948): „Zustand des vollständigen
körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von
Krankheit oder Gebrechen, Erweiterung von 1986: „a resouce for everyday life, not
the objective thing of living. Health is a positive concept empasizing social and
personal resources, as well as physical capacities“
- Vorschlag von Autoren für inhaltliche Kriterien wie Liebe, Selbstachtung, Freiheit,
Verbundenheit
Ressource als zentraler Begriff des Gesundheitskonstruktes
- Def. Nach Grawe und Grawe-Gerber (1999): innere Potentiale wie Fähigkeiten,
Fertigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen, Geschicke, Talente, Neigungen, Stärken, die
zwar vorhanden, aber einem manchmal nicht bewusst sind
- Kann das Nebeneinander von Störungen und positiven Fähigkeiten beschreiben und
die Komplexität erfassen, und so nicht nur nach Störungen, sondern auch nach
individuellen Merkmalen psychischer Gesundheit suchen
,Studie von Alloy und Abramson (1979) zeigt, dass depressive Personen realistischer
Fähigkeiten und Einflussmöglichkeiten einschätzen können, Beleg durch Experimente von
Allan et al., 2007, bei dem Probanden eine Taste drücken mussten und in zufälligen
Abständen eine Lampe leuchtete, worauf der Tastendruck keinen Einfluss hatte
Nicht depressive Patienten schätzen Einfluss höher/zu hoch ein, depressive
Probanden sind genauer, bilden sich keinen vermeintlichen Einfluss ein
Selbstüberschätzung von Gesunden wird als Phänomen der positiven oder
selbstwertdienlichen Illusion bezeichnet, die in Zusammenhang mit der kognitiven
Dissonanzreduktion steht
Psychische Stärken nach Systematik von Peterson und Seligman (2004), in Serien
psychologischer Studien voneinander abgegrenzt
- Weisheit und Wissen: Kreativität, Neugier, Offenheit, Freude am Lernen
- Mut: Zivilcourage, Beharrlichkeit, Vitalität
- Menschlichkeit: Liebe, Freundlichkeit, soziale Intelligenz
- Gerechtigkeit: Fairness, Autorität, Solidarität
- Mäßigung: Ausgeglichenheit, Bescheidenheit, Vergebung, Umsicht, Selbstkontrolle
- Transzendenz: Schönheitssinn, Bewunderungsfähigkeit, Dankbarkeit, Hoffnung,
Humor, Spiritualität
Einordnung Seligmans: entwickelte das Modell der erlernten Hilflosigkeit (1972), widmete
sich seit den 1990er Jahren positiver Psychologie
Grundmodelle der Störungslehre
Historische Entwicklungen
- Psychische Störungen als Phänomene dämonischer Besessenheit, Geister und
Teufel hätten Besitz von einer Person ergriffen
- Wissenschaftlicher Ansatz beginnt im 19. Jhd. als Folge philosophischen
Aufklärungszeitalters
- Psychiater sahen Hinpathologien als Ursache psychischer Störungen, Zitat W.
Griesinger: „Geisteskrankheiten sind Hirnkrankheiten“
- Kraepelin (Mediziner, der mit dem Mitbegründer wissenschaftlicher Psychologie W.
Wundt arbeitete):
o entwickelte die bis heute gültigen Grundzüge der Klassifikation psychischer
Störungen, orientierte sich an hinpathologischen Annahmen mit
psychologischer Komponente als Zusatz
o teilte in zwei Hauptgruppen der schwersten psychischen Störungen ein
1. Dementia praecox (heute: schizophrene Psychose)
2. Manisch-depressives Irresein (heute: bipolare Störung)
Vorteil: man konnte eindeutige Kriterien nutzen und Wahrscheinlichkeitsaussagen
zum Verlauf machen
- Psychogenetischer Ansatz aus dem 19. Jhd. schenkte Emotion, Kognition, Motiven,
Willensprozessen und inneren Konflikten mehr Aufmerksamkeit, betraf vor allem
nervöse Erkrankungen, die vorher nur am Rande einbezogen wurden
o Nervöse Erkrankungen: Hysterien, Hypochondrien, Neurasthenien
(„Nervenschwäche“)
o Impulse kamen durch Freud, der mit Charcot und Janet Hysterien etc. anhand
psychogenetischer Modelle untersuchten Störungsursachen wurden in der
Biographie gesucht
, Sigmund Freud
- Physiologe und Arzt
- Einflussreichster Theoretiker seiner Zeit, weitreichende Impulse für Störungslehre
und Psychotherapie
- Topographisches Modell: unterscheidet Unbewusstsein, Vorbewusstsein und
Bewusstsein als psychische Funktion, bringt verschiedene Störungsursachen in
Zusammenhang
- Instanzenmodell: Es, Ich, Über-Ich unterscheiden sich in Beziehungen zu Trieben,
Störungen seien Konflikte zwischen den drei Instanzen
- Psychoanalytische Kur (Psychoanalyse) verliert an Bedeutung, aber sein Einfluss ist
unumstritten
- Auseinandersetzung zwischen hirnpathologischen und psychogenetischen Ansätzen
dauerte im 20. Jhd. an, heute als Auseinandersetzung zwischen traditionell
medizinischen und psychologischen Modellen für psychische Störungen und
Behandlung bekannt
Traditionell Psychologische Modelle am Psychologische Modelle am
medizinisches Bsp. Psychodynamisches Bsp. lerntheoretisches
Krankheitsmodell Grundmodell Grundmodell
nur von wenigen Primär auf soziale und Psychische Störungen primär
Theoretikern vertreten, psychologische Faktoren durch Lernerfahrungen und
aber noch häufig bezogen, Grundmodell basiert soziale Einflüsse erklärbar, die
anzutreffendes auf Psychoanalyse Freuds in der Kindheit beginnen und in
Grundmodell zur gesamter Lebensspanne
Einschätzung psychischer hinzukommen können
Störungen (Shah &
Mountain, 2007):
Kranksein auf primär Kranksein primär auf Unterscheidung verschiedener
anatomische, frühkindliche Konfliktsituation, Lernformen, z. B.
physiologische, die verdrängt wurde, Konditionierung, operantes
biochemische Defekte zurückzuführen Lernen, Lernen am Modell,
zurückzuführen, der Lernen durch Einsicht
möglicherweise noch nicht
entdeckt wurde
Defekt organischer Art
Defekt in der Person Störung in der Person Primär intrapsychischer
begründet Prozess, biologische und
Umweltfaktoren haben
interaktive Rolle
Kausal mikroskopische Unbewusste Konsequenzen
Ursachen liegen dem des Konflikts und Art der
Defekt zugrunde Ausprägung psychischer
Verdrängung führt zu
psychischen Störungen
Therapie: Therapie: Psychoanalyse, Therapien ableitbar durch
Psychopharmaka, Arbeiten an der Aufhebung verschiedene Lernarten, z.B.
somatische Verfahren, wie früherer Verdrängung, neuere Gegenkonditionierung, operante
Lichttherapie, psychodynamische Ansätze Verfahren (Verstärken,
Elektrokrampftherapie, thematisieren daneben auch Kontingenzverträge), Training
transkranielle aktuelle Konflikte und sozialer Kompetenzen, kognitive
Magnetstimulation, psychische Defizite, die mit Umstrukturierung
Psychochirurgie frühkindlicher Konflikterfahrung
in Zusammenhang stehen
Grundlegende Störungsmodelle heute