Referat LRS
1. Grundlagen
1.1 Definition (Mayer 2021, S. 45)
„Unter der Lese-Rechtschreibstörung wird eine Lernstörung verstanden, die sich
durch Probleme beim Erwerb und der Anwendung der indirekten Lesestrategie (=
phonologisches Rekodieren) und / oder der automatisierten Worterkennung sowie
beeinträchtigter Rechtschreibung charakterisieren lässt. Sie kann aus Defiziten in der
phonologischen Informationsverarbeitung infolge neurobiologischer Fehlentwicklungen
resultieren und geht oft mit Spracherwerbsstörungen einher. Die Lernstörung tritt
unabhängig von kognitiven Fähigkeiten auf und ist nicht die Folge unangemessenen
Unterrichts. Sie kann sich negativ auf das Leseverständnis, die kognitive, die sprachliche
sowie die sozio-emotionale Entwicklung auswirken.“
- Begriffe, welche oft als Synonym verwendet werden:
• Lese-Rechtschreibstörung
• Legasthenie
• besondere Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens
(Beschluss der KMK-Konferenz 2007)
• Lese-Rechtschreibschwierigkeiten
• (Entwicklungs-)Dyslexie
• Schriftspracherwerbsstörungen → verdeutlicht, dass es sich beim Lesen- und
Schreibenlernen um eine Entwicklungsaufgabe handelt, welche in die gesamte
sprachlich-kognitive Entwicklung eingebettet ist und im engen Zusammenhang
mit (meta-) sprachlichen Kompetenzen steht
1.2 Definition nach ICD 10 (https://www.icd-code.de/icd/code/F81.0.html)
- F81.0: Lese- und Rechtschreibstörung
• Def.:
„Das Hauptmerkmal ist eine umschriebene und bedeutsam Beeinträchtigung in
der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das
Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist.
Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wieder zu erkennen,
vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit nötig ist, können sämtlich
betroffen sein. Bei umschriebenen Lesestörungen sind Rechtschreibstörungen
häufig und persistieren oft bis in die Adoleszenz, auch wenn einige Fortschritte
im Lesen gemacht werden. Umschriebenen Entwicklungsstörungen des Lesens
gehen Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus. Während
der Schulzeit sind begleitende Störungen im emotionalen und Verhaltensbereich
häufig.“
• Inkl.:
o Entwicklungsdyslexie
o Umschriebene Lesestörung
o "Leserückstand"
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, • Exkl.:
o Alexie o.n.A. (R48.0)
o Dyslexie o.n.A. (R48.0)
o Leseverzögerung infolge emotionaler Störung (F93.-)
- F81.1: Isolierte Rechtschreibstörung
• Def.:
„Es handelt sich um eine Störung, deren Hauptmerkmal in einer umschriebenen
und bedeutsamen Beeinträchtigung der Entwicklung von
Rechtschreibfertigkeiten besteht, ohne Vorgeschichte einer Lesestörung. Sie ist
nicht allein durch ein zu niedriges Intelligenzalter, durch Visusprobleme oder
unangemessene Beschulung erklärbar. Die Fähigkeiten, mündlich zu
buchstabieren und Wörter korrekt zu schreiben, sind beide betroffen.“
• Inkl.:
o Umschriebene Verzögerung der Rechtschreibfähigkeit (ohne Lesestörung)
• Exkl.:
o Agraphie o.n.A. (R48.8)
o Rechtschreibschwierigkeiten: durch inadäquaten Unterricht (Z55)
o Rechtschreibschwierigkeiten: mit Lesestörung (F81.0)
1.3 Erscheinungsbild (Marx 2020, S.121f.)
- Kinder mit LRS lesen langsamer, machen vor allem in den ersten Schuljahren mehr Fehler
beim Lesen und haben insbesondere bei der Rechtschreibung deutliche Probleme
- Entgegen früherer Annahmen gibt es keine speziellen Fehlerarten, die für eine
spezifische Störung charakteristisch wären
- Lese-Rechtschreibschwierigkeiten sind heterogen
- Der einzige Subtyp von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, der wiederholt identifiziert
werden konnte, ist der „phonologische Typ“
➢ Defiziten in der phonologischen Informationsverarbeitung → Aneignung der
alphabetischen Strategie gelingt nicht zufriedenstellend.
➢ Meist wird hierbei eine Abgrenzung gegenüber einem „Oberflächentyp“
vorgenommen, der Schwierigkeiten mit nicht lautgetreuen Wörtern hat, also bei
der Aneignung der orthographischen Strategie strauchelt → konnte in
zahlreichen Studien jedoch weniger eindeutig identifiziert werden und nur auf
eine vergleichsweise kleinere Anzahl an Kindern mit Lese-
Rechtschreibschwierigkeiten bezogen werden.
➢ Trotzdem: phonologische Typ ist nicht das einzige Erscheinungsbild von LRS
- Häufig treten Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten gemeinsam auf, doch bei manchen
Kindern bestehen auch recht deutliche Unterschiede zwischen beiden Bereichen
➢ Wiener Längsschnittstudie: Mitte der 2. Jahrgangsstufe 14 % der Kinder sowohl
im Lesen als auch im Rechtschreiben schwache Leistungen, 9 % zeigten isolierte
Rechtschreibschwierigkeiten (mit deutlichen besseren Leseleistungen) und 2 %
zeigten isolierte Leseschwierigkeiten (mit deutlich besseren
Rechtschreibleistungen)
→ die Zuordnung zur Gruppe mit kombinierten Schwierigkeiten als auch zur
kleinen Gruppe mit isolierten Leseschwierigkeiten erwies sich über die gesamte
Schulzeit hinweg als recht stabil → zurückzuführend, dass Kinder mit
Anfangsschwierigkeiten weniger Spaß am Lesen haben, außerhalb des
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, Unterrichts deutlich weniger lesen und daher auch weniger Übung haben und
somit ihren Sichtwortschatz weniger gut aufbauen können
→ Kindern mit isolierten Rechtschreibschwierigkeiten gelang es wohl besser,
diesen Teufelskreis zu durchbrechen, da ihnen das Lesen nicht so schwer fällt
und daher auch mehr Spaß macht
2. Ursachen nach (Klicpera et al., S. 179)
2.1 Biologische Faktoren
2.1.1 Genetische Faktoren
• unmittelbare Erklärung für Lese- und Schreibschwierigkeiten:
Beeinträchtigung von Lern- bzw. Informationsverarbeitungsprozessen
➔ nach heutigem Verständnis meist genetische Einflüsse, die sich auf die
Entwicklung des Nervensystems auswirken
• Anfang des 20. Jahrhunderts erste Hinweise auf häufiges Auftreten
innerhalb von Familien, in den 70er Jahren groß angelegte
Untersuchungen dazu → Beleg für die erbliche Bedingtheit von LRS
• Teilaspekte des Lese- und Schreibprozesses in einem unterschiedlichen
Ausmaß von genetischen Faktoren beeinflussbar (Bsp.: Einfluss
genetischer Faktoren bei Kindern und Jugendlichen, die beim Lesen auf
Basis der Graphem-Phonem-Korrespondenzen mehr Schwierigkeiten
haben („phonologische“ Dyslexiker) größer ist als bei jenen, die das
phonologische Rekodieren gut beherrschen, aber nur über ein geringes
orthographisches Wissen verfügen
• drei „genetische Faktoren“ existieren, welche verschiedene Bereiche
betreffen:
o 1. Faktor: Wortschatz
o 2. Faktor: Buchstabenkenntnis und orthographisches Lernen
o 3. Faktor: wiederholen von Pseudowörtern und das Gedächtnis für
Geschichten ( =verbales Kurzzeitgedächtnis)
• Ausmaß des genetischen bzw. des Umgebungseinflusses abhängig vom
Alter bzw. dem Entwicklungsstand
• Einfluss genetischer Faktoren beim Lesen nimmt mit dem Alter ab, beim
Rechtschreiben nicht
• Einfluss genetischer Faktoren beim Leseverständnis ist gering, Ausmaß an
Förderung und Anregung (also Umgebungsfaktoren) von hoher Bedeutung
• Kind mit einem Verwandten ersten Grades mit LRS → 50 prozentige
Wahrscheinlichkeit selbs an einer LRS zu erleiden
• 20–33 % der Geschwister von Kindern mit LRS sind betroffen
• wenn auch noch ein Elternteil betroffen ist→ Risiko steigt auf 54–63 %
• beide Eltern betroffen → 78 %
• Übertragung der Eltern auf bei Mädchen < Jungen
• Unklar ist, inwieweit die Vererbbarkeit abhängig vom IQ ist
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