Skript Strafrecht
A. Allgemeiner Teil
0. Handlung
im strafrechtlichen Sinne jedes vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare sozialerhebliche
Verhalten
I. Vorsatz
1. (= Wissen und Wollen der TB – Verwirklichung, §15 StGB)
kein Vorsatz bei dolus antecedens (Täter erfüllt unwissentlich eine Taterfolg, welchen er eigentlich
schon länger geplant hatte) und dolus subsequens (Täter billigt erst nach Tathandlung den Taterfolg)
Koinzidenzprinzip/Simultanprinzip, Vorsatz zum Zeitpunkt der Tat (§16 I 1)
2. Erscheinungsformen:
a) dolus directus 1. Grades (Absicht) – es kommt dem Täter gerade auf Erfolgseintritt als Ziel seines
Handelns an (auch ein notwendiges Zwischenziel ist dazu geeignet)
dolus directus 2. Grades (Wissentlichkeit) – beabsichtigen eines gewünschten Erfolges mit einer
sicheren Nebenfolge
b) dolus eventualis – herabgesetzte Anforderungen an voluntatives und kognitives Element
Täter hält Eintritt des tb-Erfolges für möglich und nimmt dies billigend in Kauf
Theorien ohne voluntative Komponente: Möglichkeits – und Wahrscheinlichkeitstheorie, aber hier
wird Vorsatzgrenze zu weit in den Bereich der Fahrlässigkeit verschoben; bei Abstellen lediglich auf
kognitive Komponente nur schwierige Grenzziehung zwischen Vorsatz u. Fahrlässigkeit; nur Theorien
mit voluntativer Komponente werden dem subj. Unrecht gerecht, da Täter sich gg. ein Rechtsgut
entscheidet
3. Abgrenzung Vorsatz u. bewusste Fahrlässigkeit
a) Vorsatz: Täter entscheidet sich für Ausführung der Tathandlung, obwohl er die davon ausgehende
Gefahr erkannt, ernst genommen und sich damit abgefunden hat → hoffen auf den guten Ausgang
b) Bew. Fahrlässigkeit: Täter ist mit der für möglich erkannten TB – Verwirklichung nicht
einverstanden und vertraut ernsthaft, nicht nur vage, dass tb-Erfolg nicht eintritt → vertrauen auf
den guten Ausgang
c) dolus cumulativus – durch eine Tathandlung mehrere Taterfolge nebeneinander verwirklichen
dolus alternativus – Vorsatz ebenfalls auf mehrere Tatbestände, jedoch nur im entweder – oder
Verhältnis möglich
d) normative Tatumstände: rechtlich-sozialer Bedeutungsgehalt d. Tatumstandes, Parallelwertung in
der Laiensphäre, sachgedankliches Mitbewusstsein
4. Tatumstandsirrtum, § 16 I StGB
a) Subsumtionsirrtum – unbeachtlich → Parallelwertung in der Laiensphäre
b) error in persona vel in obiecto – keine Anwendung bei Gleichartigkeit der Objekte, bei Tötung ist
Identität des Opfers irrelevant, lediglich „Mensch“ ist iSd § 212, 16 I gefordert
c) e.i.p. ist beachtlich, wenn Objekte nicht gleichartig sind → Versuch bei Gewolltem und
Fahrlässigkeit bei Getroffenem
d) aberratio ictus (Fehlgehen der Tat) – anvisierte Ziel wird verfehlt u. anderes getroffen
Konkretisierungstheorie, h.M. a.A.
Versuch bzgl. Verfehltem, Fahrlässigkeit Vollendete Vorsatzart wg. Gleichartigkeit
bzgl. Getroffenem Gleichartigkeitstheorie der Objekte, aber (-), da dem Erfordernis
1
, des auf konkr. Person gerichteten
Vorsatzes nicht Rechnung getragen wird
e) Grenzfälle aberratio ictus/ e.i.p.
aa) Zusammentreffen beider Irrtümer: letztlich wird doch richtiges Opfer getroffen → aberratio
ictus
bb) Distanzfälle (Gift/Sprengfalle): h.M. Individualisierungslösung → Vorsatz auf die Person, die als
nächstes das Auto betritt (Täter gibt Geschehen aus der Hand u. trägt Individualisierungsrisiko)
f) Irrtum über den Kausalverlauf – Täter irrt über Art u. Weise der Herbeiführung eines an sich
angestrebten Erfolges → wesentliche Abweichung muss vorliegen, nicht mehr innerhalb der der
Grenzen der allg. Lebenserfahrung voraussehbar
II. Kausalität
1. conditio sine qua non:
a) Tun: jede Bedingung, die nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner
konkreten Gestalt entfiele
b) Unterlassen: jede gebotene Handlung, die nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der konkrete
Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele
2. alternative/kumulative Kausalität
a) alternativ: wenn mehrere Bedingungen, zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht
werden können, ohne dass der tb-Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede dieser
Bedingungen kausal
b) kumulativ: mehrere unabhängig voneinander gesetzte Bedingungen fallen (zufällig) zeitlich
zusammen. Diese führen gemeinsam, nicht jede für sich allein den tb-Erfolg herbei → kausal (+),
obj. Zurechnung wohl (-); weiterhin fehlt es am Vorsatz, außer Hinzutreten eines Dritten wurde für
möglich gehalten
3. Hypothetische Kausalität
Bedingung führt zwar zum Erfolg, jedoch hätte eine andere Bedingung wenig später mit Sicherheit
zum selben Erfolg geführt → unbeachtliche Reserveursache (Verbot des Hinzudenkens von
Ersatzursachen) Für Kausalität reicht Beschleunigung aus.
4. abgebrochene/überholende Kausalität
Bereits gesetzte Bedingung hätte zum Erfolg geführt, vor Erfolgseintritt bewirkt jedoch noch andere
Bedingung den Erfolg → Neueröffnungseffekt der hinzutretenden Ursache (nur Zweitere kausal,
erstere als Versuch, außer Letztere setzt unmittelbar an die vorherige Bedingung an/nutzt geschaffene
Situation aus)
III. Objektive Zurechnung
Der tatbestandliche Erfolg ist dann objektiv zurechenbar, wenn das für den Erfolg ursächliche Verhalten ein
rechtlich relevantes Risiko/missbilligte Gefahr geschaffen hat, welche sich im konkreten tatbestandlichen Erfolg
realisiert hat
1. Risikoverringerung
Wenn keine neue Ursache gesetzt wurde und erlaubtes Risiko vorliegt/Sozialadäquanz
2. atypische Kausalverläufe
Erfolg beruht zwar auf rechtl. missbilligter Gefahr, jedoch völlig außerhalb des allgemeinen Laufs der
Dinge/ der allg. Lebenserfahrung (zB abnorme körperliche Konstitution des Opfers, wenn sich nur
Lebensrisiko des Opfers realisiert); nicht Erfolg, welcher der Tathandlung immanent ist →
Wundinfektion nach Schussverletzung
3. Schutzzweck der Norm
Hier entfällt obj. Zurechnung, wenn Erfolgseintritt außerhalb des Schutzbereiches der (übertretenden
Sorgfalts-) Norm liegt; soll Norm nach Sinn u. Zweck gerade den verwirklichten Erfolg verhindern?
2
, 4. Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Erfolg wurde durch pflichtwidriges Verhalten herbeigeführt, wäre aber auch bei pflichtgemäßem
Handeln des Täters eingetreten → rechtmäßiges Alternativhandeln bei Zweifeln, ob Erfolg eingetreten
wäre
Risikoerhöhungslehre (a.A.) Vermeidbarkeitstheorie (h.M.)
wenn Sorgfaltspflichtverletzung Risiko d. Pflichtwidrigkeitszusammenhang nur (+), wenn
Erfolgseintritts wesentl erhöht, da unerlaubtes Erfolg bei Einhaltung der Sorgfaltsnorm mit an
Risiko geschaffen, Norm hat den Zweck Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
Gefahren niedrig zu halten, Opferschutz; vermieden würde, da in dubio pro reo
wandelt jedoch Erfolgs – in Gefährdungsdelikte
um
5. Freiverantwortliche Selbstgefährdung
a) Abgrenzung „freie“ und „unfreie“ Selbstgefährdung:
Exkulpation Einwilligungsregeln Rechtsgutsbezogene Irrtümer
hypothetische Prüfung, Frei ob frei von Willensmängeln Irren über die Preisgabe d.
Täter bei KV/Tötung eines Täuschung/Drohung Rechtsguts „Leben“, Art,
anderen nach §§ 19,20,35; 1,3, entweder Rechtsgedanke §216: Tragweite, Gefahren für RG
JGG (analog) entschuldigt Ernstlichkeit des Tötungs- Preisgabe (führt zu weiter
wäre, notstandsähnliche verlangens ist entscheidend Ausdehnung des § 25 I 2
Zwangslage → abzulehnen, da (schon Motivirrtum würde Aber schützt nicht im gleichen
hypothetische Erwägungen Willensmangel begründen, aber Maße (körperl.) Selbstbestimm.
unzulässig sind + (-), Da hier Selbsttötung, nicht
Entschuldigungsgründe setzen durch anderen – bei §216 ist ein
tatsächliches Unrecht voraus Mehr an Willensbildung nötig
b) Abgrenzung Selbst – und Fremdgefährdung: Wer hatte die Tatherrschaft über den unmittelbar
verletzenden/lebensbeendenden Akt?
5. Mitverschulden
Opfer muss freiverantwortlich und Gefahr kennend gehandelt haben + grob fahrlässiges/vorsätzlich
nach Verletzung – Kausalverlauf negativ beeinflusst vor der Tat/Verletzung
6. Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten
Zwar rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen, aber Erfolg erst durch Dritten verursacht, der
vollverantwortlich, eine neue, an ursprüngliche Handlung anknüpfende, selbstständig auf den Erfolg
hinwirkende Gefahr geschaffen hat
Sonderfall bei Verletzung von Sicherheitsvorschriften: diese haben den Zweck Vorsatztaten anderer
zu verhindern
Regressverbotsfall dann anwendbar, wenn Vertrauensgrundsatz besteht + Tat ganz im
Verantwortungsbereich des Vorsatztäters (nicht, wenn erkennbare Tatgeneigtheit vorliegt und
vorherzusehen innerhalb allg. Lebenserfahrung)
IV. Rechtswidrigkeit – Rechtfertigungsgründe
Prinzip des überwiegenden Interesses §§ 32, 34, 127 StPO, 227, 904 BGB oder des mangelnden Interesses: RG-
Träger verzichtet wirksam auf Schutz seiner beeinträchtigten Interessen (rechtfertigende bzw. mutmaßliche
Einwilligung)
1. zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe
a) § 227 BGB = § 32 StGB, § 859 BGB subsidiär zu § 32
b) §§ 228, 904 BGB gehen § 34 StGB lex specialis vor
aa) §228 - von Sache geht Gefahr aus, genau diese Sache darf dann zur Gef- Abw. beschädigt /zerstört
werden
bb) §904 – zur Abwendung einer Gefahr, darf Sache, die fremd u. unbeteiligt ist, zerstört werden
(Rechtsgemeinschaft/Opferbereitschaft)
cc) Selbsthilfe – Alt. Zu § 127 StPO, bezieht sich aber auf Sicherung zivilrechtl. Ansprüche
3
, 2. Notwehr, § 32 StGB
a) Notwehrlage
aa) gegenwärtiger
Angriff steht unmittelbar bevor, hat bereits begonnen u. dauert noch fort (bei Vermögensdelikten
bis Beendigung)
bb) rechtswidriger
seinerseits nicht gerechtfertigt (nicht aber zwingend strafbar, auch zivilrechtswidrig ausreichend)
cc) Angriff
jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtl. geschützter Güter oder Interessen
b) Notwehrhandlung
aa) Erforderlich, §32 II StGB
ist diejenige Verteidigungshandlung, die geeignet ist, den Angriff sofort und endgültig abzuwehren
und dabei ex – ante unter mehreren gleich wirksamen Verteidigungsalternativen das relativ
mildeste Mittel darstellt
bb) Geboten, §32 I StGB ist die Verteidigung immer dann, wenn die Rechtsordnung ihrer zur Bewahrung
bedarf, die Notwehrhandlung also nicht aus sozial-ethischen Gesichtspunkten eingeschränkt
werden muss
kein Notwehrrecht: krasses Missverhältnis + Bagatellangriffe/Unfugabwehr
→ eingeschränktes Notwehrrecht: enge persönliche Bindung
(Gemeinschaftsbindung/Schutzgarantenpflicht), Angriffe von schuldlos Handelnden,
(unabsichtliche) Notwehrprovokation – 3 Stufen Modell
cc) subjektives Rechtfertigungselement (Verteidigungswille) - Kenntnis der Notwehrlage + Wille sich zu
verteidigen; andere Motive erst schädlich, wenn Rechtswahrung völlig in den Hintergrund tritt
bei Fehlen Versuchsstrafbarkeit, da Handlungsunrecht verbleibt
1. Rechtfertigende Einwilligung (auch einverständliche Fremdgefährdung bei Fahrlässigkeitsdelikt)
a) Disponibilität des RG (nicht Leben, § 216)
b) Einwilligungserklärung
vor der Tat, ausdrücklich oder konkludent, muss Fortbestehen
c) Wirksamkeit der Erklärung
Fähigkeit Bedeutung und Tragweite zu erkennen, geistig/ moralische Reife
Wenn unwirksam, wegen Aufklärungsmängeln → hypothetische Einwilligung
§ 630h S. 2BGB – Einheit der Rechtsordnung Nur Beweislastregeln – Selbstbestimmung
vorrangig
d) keine Sittenwidrigkeit – bei KV § 228 StGB (Zweck und Schwere der Tat)
e) Täter handelte in Kenntnis der Einwilligung
4. mutmaßliche Einwilligung
geht § 34 StGB vor, da zunächst auf das Selbstbestimmungsrecht AHF rekurriert werden muss, § 34
übergeht dieses Interesse
a) Disponibilität des Rechtsguts
b) keine Einwilligungserklärung
c) Einwilligungsfähigkeit
d) Übereinstimmung mit mutmaßlichem Willen – ex ante, nur falls sonst nicht zu ermitteln objektives
Interesse als Gewolltes
e) subjektives Rechtfertigungselement – gewissenhafte Prüfung
5. Rechtfertigender Notstand § 34 StGB
kein Rechtsbewährungsprinzip, sondern überwiegendes Interesse
a) Notstandslage:
aa) gegenwärtige
wenn Gefahr bei natürlicher Weiterentwicklung jederzeit in Schaden umschlagen kann
bb) Gefahr
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