Skript Zivilrecht
A. BGB Allgemeiner Teil
I. Privatautonomie – Art. 1 I und 2 I GG
Eigentumsfreiheit, Testierfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Vertragsfreiheit (Abschluss-, Partner-,
Inhalts- und Formfreiheit) ≠ Kontrahierungszwang AGG, VVG
II. Willenserklärung und Rechtsgeschäft
1. Rechtsgeschäft
Tatbestand, der aus mindestens einer Willenserklärung besteht und dessen Rechtsfolgen sich nach
dem Inhalt der Willenserklärung bestimmen
a) Rechtsfähigkeit
Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein
b) Geschäftsfähigkeit
Fähigkeit, wirksam Rechtsgeschäfte vornehmen zu können
c) Verschuldensfähigkeit
Fähigkeit, für schuldhaft begangene Delikte oder Vertragsverletzungen einstehen zu müssen
2. Willenserklärung
Private Willensäußerung, die auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist (≠ faktischer Vertrag
/sozialtypisches Verhalten)
a) Innerer Erklärungstatbestand (Wille) – subjektiver Tatbestand
aa) Handlungswille
Vornahme äußeren Verhaltens – konstitutiv
bb) Erklärungswille
Bewusstsein, rechtserhebliche Erklärung abzugeben – nicht konstitutiv
§ 118 BGB + Verkehrsschutz, aber Anfechtung möglich (a.A. sagt konstitutiv wegen
Privatautonomie und selbstbestimmter Entscheidung; BGH sagt potentielles
Erklärungsbewusstsein, wenn Erklärender feststellen konnte, dass er Empfänger zur Annahme
einer Willenserklärung veranlasst hat) – wenn WE nach Treu und Glauben und Verkehrssitte
aufgefasst werden kann
cc) Geschäftswille
ganz bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen – nicht konstitutiv, aber anfechtbar, arg. e § 119
BGB
b) Äußerer Erklärungstatbestand (Erklärung) – objektiver Tatbestand
aa) ausdrücklich, stillschweigend, konkludent, Nichtstun/Schweigen
wenn sich Verhalten des Erklärenden für objektiven Dritten in Rolle des Erklärungsempfängers
als Äußerung eines Rechtsbindungswillen darstellt
bb) Rechtsbindungswille ≠ Gefälligkeiten
äußerlich erkennbares Verhalten, dass den Willen zum Ausdruck bringt eine bestimmte
Rechtsfolge herbeizuführen
§§ 280 ff. analog bei Vollzug einer Gefälligkeit
c) Angebot
Empfangsbedürftige Willenserklärung mit der an einen anderen ein Vertragsschluss
herangetragen wird, dass dieser den Vertrag durch bloßes Billigen zustande bringen kann (und
die essentialia negotii enthält) – wirklicher Wille, § 133 BGB entscheidend (falsa demonstratia
non nocet)
Unterscheidung zu oferta ad incertas personas und invitatio ad offerendum (Auslegung nach
dem objektiven Empfängerhorizont)
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, d) Abgabe Willenserklärung
Erklärung in Richtung des Empfängers in Bewegung gesetzt und Erklärender seinerseits alles
Erforderliche getan hat, dass bei Zugrundelegung normaler Umstände mit Zugang rechnen
darf; perplexe WE vs. protestatio facto contraria non valet
Bei nicht-empfangsbedürftigen Willenserklärungen mit Vollendung des Erklärungsvorgangs
abgegeben
e) Zugang Willenserklärung – Zeitpunkt der Wirksamkeit § 130 I 1 BGB
aa) mündlich: Vernehmungstheorie – Erklärender darf annehmen, dass Empfänger die
Willenserklärung verstanden hat
bb) schriftlich: wenn Willenserklärung derart in den Machtbereich gelangt, dass unter
normalen Umständen mit Kenntnisnahme zu rechnen ist (potentielle Kenntnisnahme) – keine
Zugangsfiktion, nur Rechtzeitigkeitsfiktion, außer arglistige Zugangsvereitelung, § 162 BGB
oder unberechtigte Annahmeverweigerung
nicht schon bei bloßem Übergabeeinschreiben (h.M.), a.A. sagt doch, wegen Vgl. zu § 181 ZPO
f) Annahme Willenserklärung
Willenserklärung mit der das Angebot vorbehaltslos akzeptiert wird (empfangsbedürftig,
außer § 151 BGB); Schweigen grds. keine Annahme, außer § 516 II 2 BGB, § 362 HGB
§§ 133, 157 BGB → Änderungsvertrag, Aufhebungsvertrag, Novation
g) Kaufmännisches Bestätigungsschreiben
Von einer Partei an andere gerichtetes Schreiben, in dem Bestätigender seine Auffassung über
Zustandekommen/Inhalt eines (vermeintlich) geschlossenen Vertrages kundtut
aa) Empfänger ist Kaufmann/Scheinkaufmann
bb) vorausgehende Vertragsverhandlungen in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang
(unverzüglich) mit Vertragsschluss aus Sicht des Bestätigenden
cc) Vertragsinhalt eindeutig, endgültig und wesentlicher Inhalt wiedergegeben
dd) Gutgläubigkeit/Redlichkeit des Bestätigenden
ee) kein unverzüglicher Widerspruch des Empfängers / keine kreuzenden KBS
ff) Rechtsfolge: Vertrag kommt zustande oder mit anderem Inhalt
→ Anfechtbarkeit des Schweigens
Nicht bei Irrtum über Rechtsfolge des (+) bei Irrtum über Inhalt, §§ 119 ff. analog
Schweigens
Bloßer Rechtsfolgenirrtum Schweigen nicht mehr binden als Reden
+ wenn Empfänger trotz gebotener Sorgfalt
Inhalt missversteht
3. Trennungs – und Abstraktionsprinzip – abstraktes Geschäft von Mängeln des Kausalgeschäfts
unabhängig machen (Sicherheit im Rechtsverkehr)
a) Kausalgeschäft
Rechtsgeschäft, durch das die Verpflichtung zu einer Leistung begründet wird
b) Verfügungsgeschäft
Rechtsgeschäft, durch das ein bestehendes Recht belastet, aufgehoben, geändert oder
übertragen wird (Übereignung, Forderungsabtretung)
III. Vertragsinhalt
1. Zwingendes Recht (ius cogens)
2. Parteivereinbarung, §§ 133, 157 BGB
a) Liegt Willenserklärung vor? (RBW)
b) Decken sich Angebot und Annahme?
c) Inhalt des Vertrages? (erläuternde Vertragsauslegung)
aa) Wortlaut
bb) wirklicher Wille, § 133 BGB – falsa demonstratio non nocet (Grds. der Meistbegünstigung)
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, cc) Treu und Glauben / Verkehrssitte / Auslegung nach Empfängerhorizont § 157 BGB, § 346
HGB „wie musste Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter
Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen“
dd) gesetzliche Auslegungsregeln
3. Dispositives Recht
4. Ergänzende Vertragsauslegung (Regelungslücke, hypothetischer Parteiwille) – was hätten Parteien
bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner
vereinbart, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall, bedacht hätten
5. Vertragsanpassung, § 313 BGB
IV. AGB
1. Anwendbarkeit, § 310 IV BGB
2. Liegen AGB vor? § 305 I BGB (vorformuliert, Vielzahl, einseitig; außer § 310 III Nr. 2 BGB)
Bei Aushandeln hohe Anforderungen, mehr als nur bloßes Verhandeln, sondern Kerngehalt seiner
AGB zur Disposition stellen + Gestaltungsfreiheit zur Wahrung seiner Interessen
3. Wurden AGB wirksam einbezogen §§ 305 – 305c BGB
a) § 305b BGB
b) § 305c I BGB – überraschende Klauseln: versteckte Platzierungen oder inhaltlich
überraschend (Überrumpelungs – und Übertölperungseffekt) → wenn Klausel deutlich von
Erwartungen abweicht u. mit Klausel nicht zu rechnen braucht
c) § 305c II BGB – kundenfeindlichste Auslegung und wenn dennoch wirksam
kundenfreundlichste Auslegung
4. Inhaltskontrolle § 307 III, §§ 309, 308, 307 BGB
5. Rechtsfolge § 306 BGB (nicht § 139 BGB)
Rechtswidrige Klausel wird durch gesetzliche Regelung ersetzt → passendes dispositives Recht
oder Vertragsauslegung, § 157 BGB; Vertrag bleibt im Übrigen bestehen
Blue pencil test, ob innerhalb einer Klausel eine unwirksame von mehreren Regelungen gestrichen
werden kann (sinnvoller Regelungsgehalt bleibt bestehen)
6. Kollidierende AGB
Früher: Theorie des letzten Wortes, zunächst § 150 II BGB, dann konkludente Annahme, aber
unangemessene Begünstigung für den, der als letztes erklärt, aber unzulässige Willensfiktion
Heute: Dissens, sich widersprechender Teil damit unwirksam → § 306 I, II BGB → Anwendung
gesetzlicher Regelungen
V. Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB
1. Eigene Willenserklärung des Vertreters, § 164 I 1 BGB
Abgrenzung zum Boten, Handlungsspielraum, aus Sicht des Dritten (Empfängerhorizont)
2. In fremden Namen (Offenkundigkeitsprinzip), § 164 I 1 BGB
Name des Vertretenen muss nicht ausdrücklich genannt werden, außer es kommt gerade darauf an
Ausdrücklich oder konkludent, § 164 I 2 BGB (unternehmensbezogenes Geschäft), Ausnahme bei
„Geschäft für den, den es angeht“
Abgrenzung zu Handeln „unter fremden Namen“ → bloße Namenstäuschung oder
Identitätstäuschung, §§ 164 ff. analog
3. Mit Vertretungsmacht
a) Kraft Rechtsgeschäfts, § 166 II 1 BGB, Außen- oder Innenvollmacht, § 167 BGB
Auch Untervollmacht, außer Interesse an persönlichem Vertreten erkennbar
b) Kraft Organschaft/Gesetzes, §§ 1626, 1629 BGB, § 714 BGB, §§ 15 I, 48, 54 ff., 125 HGB
(Selbstorganschaft), § 35 I 1 GmbHG, § 78 AktG (Fremdorganschaft)
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, aa) Prokura, § 49 I HGB – umfassend, außer Privatgeschäfte für Inhaber,
Grundlagengeschäfte, Prinzipalgeschäfte, § 49 II HGB (analog für Verpflichtungsgeschäfte;
teleolog. Reduktion für Hypothek)
bb) Handlungsvollmacht § 54 HGB – Generalhandlungs-, Arthandlungs- und
Spezialhandlungsvollmacht (spezielle Rechtsscheinhaftung)
cc) Ladenangestellte, § 56 HGB – lex specialis zu Duldungs-/Anscheinsvollmacht
jeder, der mit Wissen und Wollen des Inhabers im Hinblick auf die Verkäufe (+Nebenabreden)
und Empfangnahmen tätig ist ≠ Ankauf + Gutgläubigkeit Dritter § 54 III HGB analog
dd) Kraft Ehe - § 1357 BGB – Geschäfte, die nach typischen Lebensverhältnissen selbstständig
zu erledigen sind (durchschnittliche Verbrauchsgewohnheiten von Familien in vergleichbarer
soz. Position + konkretes Konsumverhalten entspr. Familie)
c) Kraft zurechenbaren Rechtschein(grundsätzen), § 56 HGB
Dritter ist schutzwürdiger als Vertretener, da derjenige, wer Rechtsschein einer Vollmacht
veranlasst, muss diesen gegen sich gelten lassen, Rechtsgedanke der §§ 170 ff. BGB (kein §
179 BGB bei Rechtsschein-VM)
aa) keine gesetzliche/vertragliche Vertretungsmacht (auch nicht nach §§ 171 – 173 BGB)
bb) kausaler Rechtsschein (objektiver Tatbestand):
Rechtsscheinträger (Häufigkeit und Dauer)
cc) Zurechenbarkeit (subjektiver Tatbestand):
Duldungsvollmacht – Vertretener kennt und duldet Verhalten/lässt es wissentlich geschehen
(ggfs. konludent)
Anscheinsvollmacht – trotz Unkenntnis verursacht Vertretener fahrlässig Rechtsschein (a.A.
sagt keine wirksame Willenserklärung entstanden, sondern Schadensersatz aus c.i.c., aber
Verkehrsschutz, Rechtsschein entspricht tatsächlich erteilter Vollmacht)
dd) Gutgläubigkeit Dritter, § 173 BGB analog
ee) Anfechtung
Duldungsvollmacht nach §§ 119 BGB analog
Anscheinsvollmacht nicht möglich, da nur Willenserklärungen anfechtbar, Zerstörung des
Rechtsscheins nur über § 171 II BGB analog; a.A. sagt bei § 123 BGB möglich, nie aber bei
Irrtum über Rechtsschein selbst, da Rechtsfolgenirrtum
4. Kein Ausschluss
a) Kollusion und Evidenz + nachteilig für Vertretenen (§ 138 I BGB als Anknüpfung)
→ falls Vertretener doch abschließen möchte, dann §§ 177 ff. analog
b) § 181 BGB
Teleologische Reduktion bei §§ 1629 II, 1795 II iVm § 181 BGB → Gesamtbetrachtung für
rechtlich neutrales Geschäft (§ 516 I + § 925 BGB)
5. Rechtsfolge
§ 164 I BGB – unmittelbar für und gegen den Vertretenen
6. Anfechtung betätigter Vollmacht
a) § 142 I BGB führt zu ex tunc Wirkung → Folge: Vertreter handelt nach § 177 I BGB ohne
Vertretungsmacht → Dritter hat Schadensersatzanspruch auf negativen Schaden nach § 179
II BGB gegen Vertreter → Vertreter hat wiederum Anspruch auf Schadensersatz aus § 122 BGB
Wegen Insolvenzrisikos auch denkbar, dass Vertretener unmittelbar dem Dritten haftet aus §
122 BGB (daher Dritter als Anfechtungsgegner)
b) Anwendung § 166 II BGB analog, wenn zur Anfechtung der Vollmacht berechtigender
Willensmangel auf Vertreter durchschlägt, also auch bei eigenem Vertragsschluss des
Vertretenen unterlaufen wäre → § 166 II BGB auf Willensmängel des Vertretenen (analog)
anwenden
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