I ,
/ '
1 :
I Das NOo-Feedbac
Alle fragen? Alles sehen? Alles sagen?
Die Deiilsclie
Nei~bergea.,Oswnicl:
Das 360"-Feedback : Alle fiageii? Alles seiieii? Alles sngeli? / Oswalil
Neiiberger. - Mtiiiclieii ;Meriiig : I-Iampp, 2000
(SciirifleiireilieOrgaiiisatioii I'ersoiial ; Iltl. 9)
ISBN 3-87988.440-4
SclirifteiireilieOlZGANISA1'ION & PI!RSOI.II\L: JSSN 0936-7942
Liebe Lesci~iritieizurid Leser!
FfJir~vulleiiIlttrerl ein gutes Uticli licfer.it. 1;VeitrrSie nlrs ir~geitd~~~ak:lteii
iliclrt 214-iedeit sirirl, i.vcricleri ,Sie sich hit(e nrt rlirs.
G~ii~icleil
m I?ieses Urlclr ist niifsiiiri~efieieii~
t ~ iclilot;/i.ei
~l gebleiclitei~lfirpiet. ge:lr.irclrt.
G) 2000 Izniiier 1-Iniilpl>Verlag Miiiiclicii iiiitl Meiiiil;
Meririgerzeller Sti.. 1G D - 86415 biet iiij;
Alle Reclile vosbelialteii. Dieses Welk eiiiscliliefilicli allei seiner Teile ist i~i.
liebcrreclitlicli gescliiitzt. Jede Verwwliiiig aiilierlialb der eiigeii Greiizeii des
Urheberreclitsgesetzes ist ohne scliriflliclie Zustiininiiiig des Verlags uimiliis-
sig iiiiil strafbar. Das gilt iiisbesoiidcre fiir Vervielf~ltiguiigeii,Milwoverfil-
!
iriiingeii, Übersetniiige~iiiiid die Eiiicpeiclieruiig iii elelctroiiisclie Systeine. Rainer Hainpp Verlag
,1. Das 360°-Peedbuck-Verfahren
1.1 Das 360"-Fee<%baeli<
irrn Raster anderer Beurteilungs-, Befragangs-
uild Peedbücicverhhren
Die Rundum-Beurteilung ist ein In-Thema, ihr Durchbruch wird als unmittel-
bar bevorstehend angekündigt. Rolf Stiefel, der St. Gallener Trendseher und
-setzer in Sachen OEßPE hat sie euphorisch gepriesen:
"Ich halte 360'-Feedback und Upward Feedback-Programme als neue Verändemgs-
produkte für so interessant, dass ich es für möglich halte, als bisheriger PE-ier mit dem
ausschließlichen Einsatz dieser 'Verändeningstechnologie' eine neue Abteilung im Un-
ternehmen aufzubauen ... Für erfahrene PE-ler, die noch einmal eine echte neue Heraus-
fordenuig suchen! ... Aber auch freiberufliche Berater und Trainer können sich mit die-
ser neuen 'Veränderungsteclmologie'attraktiv im Markt positionieren und sich mit dem
Einsatz von 360"-Feedback und dem späteren Training von Mitarbeitern aus Unterneh-
rnen einen wachsenden Markt sichern. Ich halte es für keine schlechte Geschäftsidee fiir
jemanden, der aus dem Gros der ständig zunehmenden Feld-, Wald- und Wiesenberater
herausragen möchte!" (Stiefel 1997, 13).
Eine Reihe anderer Autorlnnen teilt die Auffassung, die Rundum-Beurteilung
sei machbar, sin~ivollund nützlich. In der Praxis scheint sie aber noch längst
nicht so verbreitet zu sein, wie es die intensive Diskussion vermuten lässt. So
' .
hat z.B. die Watson-Wyatt GmbH (1997) auf der Grundlage einer Umfrage
unter 85 in Deutschland ansässigen Großunternehmen den Schluss gezogen,
dass nur 19 % ein 'Multi-Source' (360")-Feedback System haben'(s.a. London
. \
& Smither 1995). [In der US-Literatur findet sich häufig der Ausdruck 'Multi-
Source Feedback' (MSF) für das 360'-Feedback. MSF ist der allgemeinere
Ausdi-uck, weil er alle Verfahren kennzeichnet, die zwei oder mehr Quellen
nutzen; die perfekte Rundutn-(360')-Beurteilung ist ein Sonderfall des MSF].
Um das Neue am 360"-Feedback abzuschätzen, ist es sinnvoll, dieses Verfah-
ren gegen andere Beui-teilungsmethoden abzugrenzen. Zum Formenkreis ge-
hören vor allem:
- die klassische Personal- oder Leistzlngsbeurteilung (personbezogen, hoch
forinalisiert, dyadisch,von oben nach unten (ausführlich dazu: Becker 1998,
Breisig 1998, Zander & Ihebel 1993)l;
- das Mitarbeiter- bzw. Teaingesprßch (weniger fo~maiisiert,interaktiver);
1 "Unter Leistungsbeurteilung wird ein institutionalisierter Prozess zur planmäßigen und
formalisierten Gewinnung, Verarbeitung und Auswertung von Informationen Uber die
in einer bestimmten Periode erbrachten Leistungen eines Organisationsmitglieds durch . 1
dazu beauftragte Organisationsmitglieder hinsichtlich vorab vereinbarter @istungs-
kriterien verstanden" (Becker & Fallgatter 1998,226; ähnlich Fallgatter 1998,79).
5
,- die Vorgesetztenbeurteilung (Aufwärtsbeurteiluiig, Upward Feedback, Fiih- nialer Management-Konzepte. Total Quality Management (TQR.) fordert Null-
rungsstilanalyse, Beurteilung von unten, Fühningsspiegel: scliriftlicli, struk- Feliler und Null-Verschwendung in jeder Hinsicht, nicht nur für Produkte und
turiert, mehrere Beurteilende); Prozesse, sondern eben auch für Personen. Alle Informationen müssen ge-
- die Gleichgestellten-Beurteilung (Peer Rating/Raiilcing/Noiniiialio~i,Peer nutzt werden, die Hinweise auf Mängel geben; Ziel ist es, perfekt zu werden.
Appraisal, Peer Assessment, Peer Review, KollegInnenbeurteiliing, s. 2.B. In der Praxis - das wird unten noch belegt werden - ist es längst nicht so weit.
Jochum 1987, Gerpott 1992); Von 360"-Feedback wird schon geredet, wenn drei Beurteiler-Gruppen ihr
- das Management- oder Führungs-Audit (systematische Analyse auf der Ba- Votiiin abgeben: liöliere Vorgesetzte, unterstellte MtarbeiterInnen und die be-
sis von Prüflisten; zusätzlich: von Externen, ControllerIiuie~ioder höheren urteilte Person selbst. Sehr selten finden sich Kolleginnen-Urteile, noch selte-
Vorgesetzte%durchgefiilirte Hearings; s.a. Schöning 1998); ner werden externe Kundinnen einbezogen. Hunt (1995, 46) beschränkt das
- Einrichtung von Beschwerde-Systemen (Beschwerde-Ko~iimission,Mob- 360"-Feedback aiif interne Beiirteilungen, bei denen zusätzlich zur 18O0-Beur-
bing-Beauftragte, Kummerkasten, Offen-Gesagt-Rubrik in der Werkszei- teiliilig (durch Unterstellte) auch noch Bewertungen durch Vorgesetzte und
tung, Leserbriefe); Gleicligestellte hinzukominen; um 540'-Feedbacks handelt es sich bei ihm,
- die Zi@vereinbamng bzw. das MbO (Management by 0bjectives)-Review wenn Kunden und Lieferanten einbezogen werden und 630" spricht er einem
(s. Wahren 1999); System zu, das auch noch die Familie des Managers einbezieht.
- die Mitarbeiter- und Kundenbefragung (Data Survey-Feedback; aiionyini-
sierte großzahlige, schriftliclie Erhebungen zii einer breiten Tliemeiipalette;
die Gesamtsituation in der Unternehmung soll bewertet werden) (Nadler Ziiweilen wird eine deutliche Trennlinie zwischen der klassischen Beurteilung
1977, Domsch & Schneble 1991, Borg 1999). und dem modernen Feedback gezogen. Wälirend Beurteilung als wertende
Zensur gesehen wird, spiegelt
Auf die beiden Wortbestandteile des 360"-Feedbacks will ich lciirz eingehen:
360" und Feedback. "Feedback ... das momentane Verhalten und dessen Wirkung auf andere wieder. Es hat
Blitzlichtcharakter und damit ein Verfallsdatum (wir kennzeichnen zum Beispiel Feed-
' \
back-Reports gnindsätzlicli mit einem Verfallsdatum, in der Regel zwei 'Jahre" (Harss,
Maier & Weill 1999, 87).
360" soll den Rundum-Charakter mim Ausdruck bri~igeii:eine Fiilirungskratt
wird von allen Seiten beobachtet und bewertet. Zu Grunde liegende Vorstel- Ich teile diese Differenzierung nicht, weil das Setting des 360"-Feedbacks (s.
lungsbilder sind mehrdeutig: Der ICompass, der Radarslrahl oder das Koordi- dani die folgenden Merkmale) nicht der im Zitat offenbar zu Grunde gelegten
natensystem stehen für: in alle (Himmels-)Richt~ingen,fläcliendeckend den Feedback-Modellsituation in der Gruppendynamik oder im Kommunikations-
gesamten Orbit umfassend. Vorgesetzte sollen aber nicht alle anderen beiu- training gleicht [face-to-face, mündlich, beschreibend (nicht: bewertend), spon-
tan, unstandardisiert, die Wirkung auf den Feedbackgeber ausdnickend (Ge-
teilen, sie sind vielmehr selbst Objekt umfassender Begutachtung. Da trifft das
Bild der Windrose eher: aus allen Richtungenbläst der Führiingslcraft der Wind fühle, nicht unbedingt Fakten), konkrete Wünsche oder Forderungen zur Än-
ins Gesicht. Aufsclilussreiclier als diese Wortbilder ist die dahinter stehende derung äiißernd; s. die Diskiission in Zeitz (1998, 49 ff.) und siehe den Beleg
pan-optische (wörtlicli: alles sehende) Phantasie. Sie suggeriert die Möglicli- A-1 im Anhang]. Der Name 360"-Feedback leitet sich wohl eher vom OE-Ver-
keit einer sowohl lücltenlosen Beobachtung wie allseitigen Rückmeldung: alle fahren "Data Siwey-Feedback" her - und da geht es um die anonyme schrifi-
BezieliiingspartnerInnen sind zugleich und imtner auch BeurteilerInnen oder liche Befragung von Organisationsmitgliedem und die Rückmeldung der auf-
Feedbackgeberimen. Die Fokalperso~imuss zudem gewärtigen, dass sie niclit bereiteten Ergebnisse, um Veränderungsprozesse in Gang zu setzen (s.a. Co-
melli 1997). Auch systeintheoretische Assoziationen liegen nahe: Nur wenn
nur von allen gesehen und kommentiert wird, sondern überall und jederzelt
ein System etwas über seinen eigenen Zustand und Output erfahrt, kann es
unter Aufsicht steht. Uber "1984" hinaus gilt: Nicht nur 'Big Brother is wat-
sich im Sinne seiner Zielvorgaben selbst regeln.
cliing you', sondern jedermann beobachtet dich und bietet dir (und anderen?)
seine Wahrnehmung oder sein Urteil schriftlich an. Kein Wunder, dass eine Lakonisch - und in wiinschenswerter Deutlichkeit - stellt Thönnessen fest, warum sich
solche totalisierende Option erst hoffahig wurde unter der Herrschaft konge- Bayer dazu entschlossen hat, der Aufwärtsbewertung den Namen 'Feedback' und nicht
'Beurteilung'zu geben:
, "Der Ausdruck 'Beurteiliing' impliziert dagegen, dass sich aus der Einscliätziing des - Es wird eine Einschätziing der Ist-Situation in Bezug auf Verhaltensdaten
Führungsverhaltens - man könnte auch von 'Fühmngsleistung' sprechen - konkrete vorgenommen; ziiweilen werden auch Leistungsergebnisse erfasst. Manch-
Konsequenzen ergeben, sowohl in Bezug auf Position als auch auf Vergütung; doch nur mal wird noch nach den Erwartungen an die Zielperson undloder nach der
Beurteilungen von Mitarbeitern sind in der Regel mit solchen Konsequenzen verknüpft. Wichtigkeit der beurteilten Merkmale gefragt.
Derart verstandene Beurteilungen gelten aber nach wie vor als originäre .4ufgabe von
Vorgesetzten, und in diesem Punkt ist eine Umkehrung des Prozesses bisher kaum vor- - Die Beurteilung erfolgt anonym (zumindest in der Befragungsphase).
stellbar" (Thö~essen1999, 101). - Die Aiiswertung der erhobenen Daten wird durch Dritte vorgenommen
(externe BeraterImien oder interne ExpertInnen der Personalabteilung).
Im folgenden Text gehe ich davon aus, dass das 360"-Feedback ein multiper-
spektivisches und multipersonales Beurteilungsverfahren ist, bei dem es keine
- Iin Regelfall werden - pro Item oder pro Beurteilungsdimension - die Mit-
telwerte der Einschätzungen errechnet und mitgeteilt und Vergleiche durch-
Gelieimdossierbgibt. Der beurteilten Person werden die Bewertungen mitge- geführt (z.B. Selbstbild vs. Fremdurteil, Person-Ist vs. Firmen-Soll, Person-
teilt und sie wird aufgefordert oder eingeladen, mit den Beurteilenden zu Ist vs. Durchschnitt anderer Beurteilter; Zeitreihen).
sprechen, um die richtigen Schlüsse und IConsequenzen zu ziehen. Dass dabei
einige eigenartige Hemmnisse auftauchen, werde ich an späterer Stelle analy-
- Empfänger der Beurteilungen ist die beurteilte Person; vielfach werden
aber auch (in anonymisierter oder aggregierter Form) alle am Prozess Be-
sieren, wenn icli über die Rolle von Anonyinität, externer Aiiswertuiig iind teiligte~~
informiert. Manchmal erhalten höhere Vorgesetzte nicht nur Zu-
Moderation spreche. sainmenfassungen, sondern auch Einzelergebnisse. In einigen Fällen wer-
den der beurteilten Person die schriftlich zusammengefassten Ergebnisse
1.2 M e r h a l e des 360"-FeedbacI~ durch ExpertInnen mündlich interpretiert, dabei wird 2.T. Beratung oder
Coaching angeboten.
Es gibt zwar keine standardisierte oder allgemein anerkaiiiite Prozedur fiir die - Allein oder in Kooperation mit BeraterInnen entwirft die beurteilte Person
360"-Beurteilung, aber es können -folgt inan veröffeiitlichten Berater-Empfeh- einen individuellen Entwicklungsplan bzw. Maßnahmenkatuiog, in dem ..
lungen und Praxiserfahrungen - einige Meriunale als typisch angesehen wer- konkrete Iconsequenzen aus dem Feedback gezogen werden.
den: - Zur Erarbeitung von Folgemngen werden Workshops durchgefiihrt, an de- . t
- Das Verfalirenssystem enthält mehrere Komponenten: Einholung scliriftli- nen (einige, alle) BeiirteilerInnen mitwirken: Moderiert durch externe Ex-
clier Urteile bei verschiedenen Gruppen, Auswertung, (individualisierte) pertInnen werden kontroverse Beurteilungen begründet, Verbesserungs-
Rückmeldung, Gespräche oder moderierte Worksliops zur Interpretation der wünsche formuliert, Verbesserungsmaßnahmen erarbeitet imd vereinbart.
Daten und zur Maßnahmeneiitwicklung. - Die Erfahrungen aiis den Feedback-Runden können vom Management ge-
- Das Verfahren wird primär auf Fühi-ungsluäfte angewandt (sehr selten auf niitzt werden, um individuelle oder strukturelle organisationale undperso-
SpezialistInnen, AußendienstmitarbeiterInnen etc.). nalwirtschujliche Maßnahmen zu begründen und durchzufuhren (PE- oder
OE-Maßnahmen, neue Anreizsysteine, Versetzungen, Beförderungen, Kün-
- Bewertungen der Fokalperson werden durch Vertreterlnnen mehrerer Grup- digungen etc.).
pen (Vorgesetzte, Kolleginnen, unterstellte MitarbeiterInnen, interne und
externe Kundinnen) vorgenommen. In der Praxis sind es allerdings häufig - Es finden Follow Ups statt, die dem Erfahrungsaustausch, der Kontrolle
nur 2-3 Gruppen: vor allem höhere Vorgesetzte und Unterstellte, zuweilen oder der Strategieanpassiing dienen.
iiocli andere interne Organisatioiismitglieder (Personalleute, Projektkolleg- - Systematische gegenseitige Beurteilungen (die Beurteilten beurteilen ihrer-
Innen, TrainerInnen etc). seits die BeurteilerInnen) finden normalerweise nicht statt.
- Ein besonders interessanter Aspekt ist, dass des öftereii die Zielperson um
eine Selbstbeiirteilunggebeten wird. Diese allgemeine Charakterisietung lässt noch eine Vielzahl von Optionen zu,
die in der folgenden Tabelle 1 - die Vorschläge von Domsch (1992, 63) bzw.
- Es wird mit der Methode der schrijilichen Befragung gearbertet; dabei wer- Domsch & Ladwig (1995, 26), Ladwig & Domsch (1997, 75) erweitert - zu-
den st~nltzirierteFragebogen eingesetzt, die fiir alle Beurteiler(-Gruppen)
sammengestellt sind.
gleiche Items enthalten. In der Regel sind qzlantitativ abgestufte vorgege-
bene Antwortausprägungen atuiikreuzen.