Einführung
Sozialisationsforschung:
Ein Konzept von gestern oder gerade heute zukunftsfähig?
— In der Bundesrepublik Deutschland in den 60 er Jahren des 20. Jahrhunderts gewann die
Sozialisationsforschung besondere Bedeutung
— entwickelte sich im Spannungsfeld verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen
— Epoche der Bildungseuphorie und -expansion:
Ziel: Überwindung von Bildungsprivilegien und Öffnung des Bildungswesens für Kinder aus allen sozialen Schichten
— Soziologen, Psychologen und Erziehungswissenschaftler erforschten Voraussetzungen und Bedingungen,
die Sozialisationsprozesse bestimmen
— waren daran interessiert, wie die Umwelt, in der Kinder aufwachsen, deren Entwicklung beeinflusst
- Familie, Gleichaltrigengruppe, schulische Umwelt Direktes Umfeld
- strukturelle Bedingungen der Gesellschaft Indirektes Umfeld
Ziel: Strategien zur Verwirklichung von Chancengleichheit im Bildungswesen
1. Mit Hilfe der Sozialisationsforschung:
soziale Situation von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft
so genau und differenziert wie möglich erheben
2. Vor dem Hintergrund eines psychologisch fundierten Wissens über menschliche
Entwicklungsprozesse sollten praktikable Hilfen zur Kompensation und Überwindung von
Benachteiligungen gegeben werden, die aus gesellschaftlicher Randständigkeit entstehen
— enge Zusammenarbeit der Wissenschaftler untereinander war notwendig
— Sozialisationsforschung wollte eine eigene Methodologie entwickeln, dies gelang jedoch nicht
— es gab Fortschritte, aber keine Zusammenführung (80er Jahre):
a) Schulische Sozialisationsforschung
b) Sozialisation durch (Massen-)Medien
— in den 80er gerieten bildungsreformerische Bemühungen aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses
— Soziologen entwickelten Kindheits-, Jugend- und Lebenslaufforschung ohne einen Sozialisationsforschungszusammenschluss
- sie kritisierten die Sozialisationsforschung, aufgrund ihrer Konservierung gesellschaftlicher Zustände
— Zinnecker stellt sich die Frage: „Soziologie der Kindheit oder Sozialisation des Kindes?“
- Hier beschreibt er die Rückwendung der Erziehungswissenschaft zur Geisteswissenschaftlichen Pädagogik,
die an der Ermittlung von Normen und Werten interessiert ist, die den Prozess des Aufwachsens leiten sollen
- Pädagogik sei systemkonservierend, weil kaum Sozialwissenschaftler (deutlich unter 10% in den 80er Jahren)
- und damit behindert diese Erziehungswissenschaft als Motor der Sozialisation die Verwirklichung
der ursprünglichen bildungs- und gesellschaftsreformerischen Zielsetzung
- Resümee: wichtig für Erhalt der Sozialisation sind:
a) reflexive Dimension
b) Werte und Ziele müssen als vorläufig betrachtet werden und fortlaufend neu definiert werden
, 1. Sozialisation - was ist das?
Mit Sozialisation ist ein bestimmter Bereich der sozialen Realität angesprochen
Formulierung im „Handbuch der Sozialisationforschung“ (1980):
— Gesamtheit aller Umweltbedingungen, die auf die Subjektentwicklung Einfluss nehmen,
gehören zum Gegenstandsbereich der Sozialisation
z.B.: Anforderungen am Arbeitsplatz, Wohnsituation, Fernsehkonsum, elterliches Sprachverhalten
— soziale Bedingungen des Aufwachsens:
wie Lernprozesse in der Schule oder Kommunikation bei der Arbeit
— als auch physisch-materielle Bedingungen des Aufwachsens:
wie der städtische Park mit kindlichen Aktivitäten , der das Ergebnis gesellschaftlicher Gestaltung ist
— Alle sozialen und materiellen Umweltfaktoren sind somit gesellschaftlich beeinflusst,
sie alle können als Bedingungen des Sozialisationsprozesses Bedeutung erlangen
— diese Gesamtheit der Umweltbedingungen wird nur im Hinblick auf die Entwicklung der Persönlichkeit betrachtet
1.1. Persönlichkeit und Umwelt: zum Charakter des Sozialisationsprozesses
Persönlichkeit: Bezeichnung des spezifischen Gefüges von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und
Handlungskompetenzen, das den einzelnen Menschen kennzeichnet und welches durch
Erfahrungen, die der Einzelne im Laufe deiner Lebensgeschichte gemacht hat, entsteht
Es geht nicht nur um von außen beobachtbare Verhaltensweisen, sondern auch um
innerpsychische Prozesse und Zustände;
Gefühle und Motivationen gehören ebenso dazu wie Wissen, Sprache und Werthaltungen
Persönlichkeit = Individualität + Sozialcharakter ( der Gruppe, der er angehört)
• Das spezifische Gefüge wird als „Individualität“ bezeichnet, weil bei jedem einzelnen Menschen sehr
unterschiedliche Ausprägungen des psychischen Gefüges anzutreffen sind.
oo Es wird außerdem auch zwischen unterschiedlichen Sozialcharakteren von Klassen, Gruppen, Völkern,
Nationen unterschieden, bei der jeder andere „Selbstverständlichkeiten“ besitzt.
Die Genese/Entwicklung der Persönlichkeit läuft auf Vergesellschaftung und Individuation hinaus.
Verhältnis des Individuums zu den Bedingungen seiner Umwelt:
- heranwachsende Mensch nimmt einen aktiv-gestaltenden Einfluss auf seine Lebens- und Lernprozesse
und entwickeln sich so zu einem handlungsfähigen Wesen, zu einem Subjekt
- Sozialisation ist nicht einfach die Übernahme gesellschaftlicher Erwartungen in psychische Strukturen,
sondern ein Prozess der aktiven Aneignung von Umweltbedingungen durch den Menschen
Austauschprozess zwischen Subjekt und seiner gesellschaftlich vermittelten Umwelt
Spannungsverhältnis zwischen prinzipieller Möglichkeit des Menschen, sich zu seiner Umwelt individuell zu verhalten
und den gesellschaftlichen Anforderungen, die auf Anpassung und Normierung ausgerichtet sind
Sozialisationstheoretische Konzepte, die in Teilen gewürdigt werden, aber denen argumentativ entgegengetreten wird
a) biologistisch argumentierende Humanwissenschaft Genetisch fixierte „Anlage“ - Faktoren und ihre „Reifung“
b) idealistisch überzogene Philosophie Subjektwerdung des Menschen kann nur beschrieben aber nicht analysiert werden
c) verkürzt analysierende Pädagogik reiner Fokus auf bewusste erzieherische Funktion/ Nicht-Beachtung anderer Faktoren