Evangelische Friedrich Oberlin Fachoberschule
Schuljahr 2022/2023
Seminararbeit
Selbstjustiz und die Frage nach Gerechtigkeit
Eine Untersuchung am Fall der Marianne Bachmeier
Abgabetermin: 17.01.2023
Seminarfach: Gerechtigkeit
Betreuende Lehrkräfte: Frau Dr. Ossa/Frau Berger
Schülerin: Franziska Faulhammer
Klasse: 13 b
, Selbstjustiz und die Frage nach Gerechtigkeit
Eine Untersuchung am Fall der Marianne Bachmeier
Gliederung
1 Einleitung ………………………………………………………………………………… 1
2 Der Fall Marianne Bachmeier ………………………………………………………..… 2
2.1 Die Geschichte
2.2 Die Reaktion der Öffentlichkeit
2.3 Das Urteil
2.4 Kontroverse
3 Selbstjustiz ………………………………………………………………………………. 5
3.1 Selbstjustiz in einem Rechtsstaat
3.2 Rache
3.3 Strafe
4 Abwägung der Gerechtigkeit …………………………………………………………. 13
4.1 Tat
4.2 Urteil
5 Stellungnahme …………………………………………………………………………. 14
6 Literaturverzeichnis ………………………………………………………………….… 15
7 Anhang ...…………………………………………………..………………………….... 17
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1. Einleitung
Rache, Vergeltung, Ehrenmorde, Selbstjustiz – dies alles sind Begriffe, die die Mehrheit der
Menschen auf den ersten Blick als verwerflich, ungerecht oder gar böse empfindet.
Aber eine Mutter, die den Mörder ihrer Tochter erschießt?:
„Würde jemand meinen beiden Kindern etwas antun, es gäbe keine Gnade aus meiner Position
1
heraus für diese Bestie. Ich würde ganz genauso handeln.“
Ob in unserem Alltag, der Politik, Literatur und Kunst, der Philosophie oder Soziologie oder selbst
den Religionen: Geschichten von Rache sind überall zu finden und prägen unsere Kultur –
beginnend bei der Schöpfungsgeschichte, als Kain (erstgeborener Sohn Adams und Evas)
seinen Bruder Abel aus Neid ermordete. 2 Romane wie „Der Graf von Monte Christo“ oder das
„Nibelungenlied“ sind nur weitere Beispiele aus einer gar endlosen Auswahl an
Racheerzählungen. Stellt man sich ein mal vor, alle Opern, Filme, Bücher, Lieder und
Geschichten, in denen es um Rache geht, würden nicht mehr existieren, merkt man: viel würde
nicht mehr übrig bleiben. Dazu kommt noch, dass uns viele Rachemotive oft gar nicht als solche
bewusst sind. Rache kann bei der kleinsten Schadenfreude beginnen und über unfreundliche
Bemerkungen bis hin zu Gewalttaten oder sogar Mord gehen.
Jeder kennt ihn – den Wunsch nach Gerechtigkeit, nach Ausgleich, nach Vergeltung, nach
Rache. Der Eine verspürt ihn öfter, der Andere seltener, aber das Gefühl ist uns allen bekannt.
Und trotz der ständigen Präsenz dieses Themas, gibt es verhältnismäßig wenige
wissenschaftliche Untersuchungen dazu.3
Wie steht es also um den Fall der liebenden Mutter aus Lübeck - Marianne Bachmeier - die 1981
Klaus Grabowski, den Mörder ihrer siebenjährigen Tochter Anna, mitten im Gerichtssaal mit
sechs Schüssen tötete? War diese Tat wirklich so gerechtfertigt, wie der Großteil der Menschen
damals fand oder war sie ein Angriff auf unseren Rechtsstaat?
In dieser Seminararbeit werde ich mich, unter Betrachtung des eben genannten Falls, kritisch mit
dem Thema Selbstjustiz und der dazugehörigen Gerechtigkeitsfrage auseinandersetzen.
Meine Themenwahl resultiert daraus, dass auch ich anfangs klar mit Marianne Bachmeier
sympathisiert hatte, mir aber bei weiterer Auseinandersetzung klar wurde, wie schnell wir
Menschen darüber urteilen, was nun gerecht ist oder nicht.
Dazu werde ich das Thema Selbstjustiz, anhand des Beispielfalls, den ich zu Beginn vorstellen
werde, genauer untersuchen. In diesem Zuge werde ich mich näher mit den Themen Rache und
1 Internetforum Allmystery, Beitrag.2009 https://www.allmystery.de/themen/mg54153 (Stand 06.08.2022)
2 AT 1. Mose 4,8: https://www.bibleserver.com/LUT/1.Mose4 (Stand 30.08.2022)
3 Haller, Reinhard: Rache - Gefangen zwischen Macht und Ohnmacht, Salzburg 2021, S. 8-10
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Strafe auseinandersetzen, einige philosophische Ansätze aufgreifen und anschließend eine
Abwägung der ausgearbeiteten Argumente vornehmen.
Zum Schluss werde ich das Ganze noch einmal reflektieren und auch meine eigene Position,
welche ich durch die ausgiebige Auseinandersetzung im Rahmen dieser Seminararbeit mit dem
Thema bilden konnte, mit einfließen lassen.
Zur besseren Lesbarkeit werde ich in dieser Seminararbeit das generische Maskulinum
verwenden. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders
kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
2. Der Fall Marianne Bachmeier
2.1 Die Geschichte
Marianne Bachmeier wird am 3. Juni 1950 in der Nähe von Hildesheim, in Niedersachsen
geboren. Bereits in ihrer Kindheit hatte sie mit einem schwierigen Elternhaus zu kämpfen. Von
ihrem Vater, welcher der sogenannten Waffen-SS, einer Elitegruppe der Nazis, angehört, wird
sie regelmäßig gedemütigt und auch von ihrer Mutter erhält sie wenig Unterstützung oder gar
Schutz.4 Als sie das erste Mal sexuell missbraucht wird, ist sie 9 Jahre alt. Sie tritt eine Lehre zur
Verkäuferin an und ihre erste Tochter bekommt sie mit nur 16 Jahren. Zwei Jahre später, als sie
mit ihrer zweiten Tochter schwanger ist, wird sie erneut vergewaltigt. Die beiden Kinder werden
getrennt voneinander adoptiert. 1972 kommt ihre dritte Tochter Anna zur Welt, welche nun bei
ihrer Mutter aufwächst. In dieser Zeit betreibt Marianne eine Kneipe in Lübeck. Es wird berichtet,
dass Frau Bachmeier sich, aufgrund ihrer Arbeit, nur wenig um ihre Tochter kümmern konnte.
Auch eine weitere Adoption soll im Raum gestanden sein (ebd.). Diese Tatsache wird ihr später
von vielen zum Vorwurf gemacht, wenn es um die Frage nach den Hintergründen Ihrer Tat und
die unterstellte Verletzung ihrer Aufsichtspflicht geht.
Doch von vorn: Am 5. Mai 1980 nimmt sich die damals siebenjährige Anna, nach einem Streit mit
der Mutter, vor, die Schule zu schwänzen und eine Freundin zu besuchen. Als diese aber nicht
zu Hause ist, geht sie mit dem 35-jährigen Fleischer Klaus Grabowski in seine Wohnung. Klaus
Grabowski ist ein Nachbar der Familie, den Anna bereits kennt, da sie in Vergangenheit des
öfteren mit seinen Katzen spielte. Doch Grabowski ist ein bereits mehrfach vorbestrafter
Sexualstraftäter mit einer pädophilen Neigung, welcher nur unter der Bedingung, sich kastrieren
zu lassen, aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen und somit als ungefährlich eingestuft
wurde. Wenig später hatte er sich jedoch einer Hormontherapie unterzogen, um seinen
Sexualtrieb wiederherzustellen. An jenem 5. Mai, so gestand es Grabowski, erwürgt er Anna von
hinten mit einer Strumpfhose. Ihre Leiche vergräbt er am Ufer eines Kanals. Klaus Grabowski
4Roggenkamp, Viola: Leben ohne Begnadigung, die Zeit 27.09.1996
https://www.zeit.de/1996/40/Leben_ohne_Begnadigung (Stand 04.08.2022)