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Notizen

Vorlesungsmitschrift Allgemeine Und Spezielle Krankheitslehre

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Meine Vorlesungsmitschriften umfassen die Inhalte des 3. und 4. Semesters. Ich habe seine mündlichen Ergänzungen gekennzeichnet

vorschau 4 aus 88   Seiten

  • 19. märz 2023
  • 88
  • 2022/2023
  • Notizen
  • Thomas schnell
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elliboehnke
Allgemeine und spezielle Krankheitslehre psychischer
Erkrankungungen

Vorlesung 1: Diagnose-Vermittlung und Diagnose-Verarbeitung I.
Warum dieses Thema ?
• Diagnosen sind de zitorientiert
• De zitorientierte Sprache
• Gefahr einer entsprechenden inneren Haltung von Behandlern bis hin zu institutioneller
Stigmatisierung
• Gefahr der Übertragung auf Patienten
• Sensibilisierung hinsichtlich eines werteneutralen Sprachstils und entsprechender Haltung
• z.B.ein schizophren Erkrankter vs. ein Betro ener mit Psychoseerfahrung
• Bedeutsam insb bei der Kommunikation einer Diagnose

Bedeutung von Diagnosen für Patienten — (frühe) Kontroverse bei
Persönlichkeitsstörungen
Frühe Psychiater und die Diagnose Persönlichkeitsstörung
Karl Jaspers zu Persönlichkeitsstörungen:
Diagnose sei eine „Erledigung, die bei näherer Besinnung beleidigend“ (1913) für die Betro enen
sei und die Kommunikation zwischen Behandler und Patient beende.

Kurt Schneider konkretisierte,
„Abnorme Persönlichkeiten sind in unserem Sinne nichts Krankhaftes [...]. Psychopathentypen
sehen aus wie Diagnosen. Das ist aber eine durchaus ungerechtfertigte Analogie. Ein depressiver
Psychopath etwa ist eben einfach „so ein Mensch“. Und Menschen, Persönlichkeiten kann man
nicht diagnostisch etikettieren wie Krankheiten [...] “ (1950)
• Diskussion ob man Persönlichkeitsstörung Diagnose wie eine Krankheitsdiagnose behandeln
kann
• Abgrenzung zur Krankheit durch Verwendung des Wortes Störung (Signalisiert vorübergehend)
und nicht Erkrankung

Heutige Experten und die Diagnose Persönlichkeitsstörung (PS)
Rainer Sachse (2013):
PS (mit unterschiedlichen Ausprägungen) als extreme Varianten normaler psychologischer und
nicht pathologischer Prozesse.
• ich-syntones Erleben (weil sich die Krankheit im Laufe des Lebens mit der Persönlichkeit
manifestiert), welches Betro ene von Persönlichkeitsstörungen in Hinblick auf ihre Symptomatik
aufweisen („so bin ich nun mal, es gehört zu mir“),
• Damit wäre eine diagnostische Etikettierung intuitiv kränkend und stigmatisierend
• Dabei sind Diagnosekriterien nicht nur die Symptomatik, sondern auch was diese bei mir auslöst.
Zentrales Kriterium ist dabei der Leidensdruck. Dann kann diagnostisch vorgegangen werden.

Peter Fiedler (2016):
• Zudem werden bei einer PS nicht einzelne Verhaltensweisen (z.B. bei Angststörungen die Angst
mit Vermeidungsverhalten) pathologisiert, sondern die gesamte Person wird einer dichotomen
Kategorisierung zugeordnet („gestört“ versus „nicht gestört“)
• Die Bedeutung einer PS ist nicht „ich habe eine Störung“, sondern „ich bin gestört“.
• negative „ xierenden Identitätszuschreibung“ (De zite werden zur Identität angenommen) durch
die abschätzige, de zitorientierte Sprache der kategorialen Diagnostik
• Anstelle einer gesunden Distanzierung von pathologischem Erleben kann eine demoralisierende
Identi kation (Person nimmt an, dass sie gestört ist und somit keine Motivation zur
Veränderung) im Sinne einer Selbst-Stigmatisierung mit der Diagnose statt nden.

Aufklärungsp icht und „Shared Desicion Making“
Aufklärungsp icht
• Psychische Störungen als natürlich aversives Thema
• Dazu kommt gesellschaftliche Stigmatisierung psych. Diagnosen

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, • Institutionelle Stigmatisierung (Vorurteile von Fachpersonal z.B. Psychiater der Borderline
Patienten gegenüber)
Dem gegenüber steht die P icht zur Aufklärung !
• Aufklärungsp icht in den Berufsordnungen der Landespsychotherapeutenkammern
• Ziel der Aufklärung: Informierte Patienten befähigen, eine freie Entscheidung für oder gegen die
Aufnahme einer Psychotherapie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu tre en, angemessen zu
recherchieren, „Empowerment“.
• Auch Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie erläutern
Februar 2013: Aufklärungsp icht im Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patienten
(Patientenrechtegesetz) verankert

Basis der Aufklärungsp icht: Shared Desicion Making (SDM)
Partizipative Entscheidungs ndung (SDM) zwischen Behandler und Patient:
gleichberechtigte aktive Beteiligung des informierten und aufgeklärten Patienten
• Behandler bleibt immer Experte und der Patient immer der Betro ene von der Krankheit
• Die Aufgabe ist es, den Patienten so gut wie möglich zu informieren
↑ Behandlungszufriedenheit
↑ Gesundheitsstatus am Ende der Behandlung
↑ Adhärenz (Pat. Hält sich an Behandlungsplan)
↓Therapieabbrüche
• Besseres Outcome
• Der Behandler ist für den Prozess verantwortlich und der Patient für die Umsetzung im Alltag
• SDM impliziert Mitteilung und Verarbeitung der Diagnose, da maßgeblich der Einstieg in
sämtliche weitere Schritte der Behandlungsplanung bereitet
• Umstände unter denen die Diagnose mitgeteilt wird und Bedeutung der Diagnose für den
Patienten als maßgebliche Faktoren für die
• Akzeptanz der Diagnose
• damit verbundenen erwünschten sowie unerwünschten Ereignissen und Ergebnisse im
weiteren Behandlungsverlauf

Aufklärungsp icht und Problem systemischer Therapeuten
• Neu gewonnene Abrechnungsfähigkeit systemischer Therapien
• Systemische Therapeuten – kritische Haltung ggü. Diagnosen (Patient als Symptomträger,
stellvertretend für ein dysfunktionales soziales System)
• Kon ikt mit Aufklärungsp icht
• Thema gewinnt dadurch neu an Brisanz

Aufklärung in der Versorgungsrealität und in den Behandlungsleitlinien
Vermittlung von Diagnosen in der Versorgungsrealität
Positiv Dennoch…

• Ergebnisse eigener Studie zeigen, dass die • Es gibt nach wie vor Patienten, die ihre Diagnose
meisten Patienten Setting und Inhalt ihrer • in einer Visitensituation erfahren
Diagnosevermittlung als angemessen und • im Arztbrief nach dem Klinikaufenthalt
hilfreich erleben • im Einzelsetting kurz daraufhin gewiesen
• Zudem werden häu g primär De zite der
Diagnose fokussiert
• Folge davon ist dysfunktionale Verarbeitung
(funktionale Verarbeitung = Einbettung mit
Ressourcen/Biographie) der Diagnose
• Diagnose sollte im Einzelsetting mit genügend Zeit besprochen werden
Problem: Es existieren keine empirischen Befunde dazu, wie die Art der Aufklärung die
Verarbeitung / Coping der Diagnose bei Patienten beein usst

Vorlesung 2: Diagnose-Vermittlung und Diagnose-Verarbeitung II.
Leitlinienkonforme Kommunikation psychiatrischer Diagnosen


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, • kein einheitlicher Standard zwischen den Leitlinien (was die Kommunikation der Diagnosen
betri t)
• meist nur unzureichende Informationen und Empfehlungen für die Umsetzung in der
Patientenversorgung
• Übergeordnetes Ziel: Diagnosevermittlung, dadurch werden förderliche Prozesse beim Patienten
gefördert (Empowerment). Der Patient fühlt sich aktiviert, zeigt Änderungsbereitschaft und hat
Ho nung

Fazit Leitlinien
• Entpathologisierung, Entstigmatisierung, Entmysti zierung !
• Große Worte und nur grobe Richtungsweisung, aber keine konkreten Ansätze zu deren
Umsetzung
• Auch in Therapiemanualen ndet sich teils wenig Konkretes
• Ausnahme: Psychoedukation (PE) Schizophrenie – hier wurden ausgefeilte Konzepte entworfen

Verarbeitung der Diagnose — Erste empirische Annäherung
Der Looping E ekt
• Der Wissenschaftsphilosoph Ian Hacking de nierte den "Looping-E ekt", indem er feststellte,
dass die Kommunikation der Diagnose die Selbstwahrnehmung, das Verhalten und schließlich
die Symptome der Diagnose selbst verändert
• Diagnoseaufklärung als erste therapeutische Intervention (Veränderung von Verhalten durch
Diagnose Kommunikation) —> Veränderungsorientiertes Handeln

Funktionale Verarbeitung
Positive Klärung / • Die Diagnose wird als Entlastung erlebt, indem Betro ene vermehrt
Selbstakzeptanz Verständnis für sich selbst und die eigene Lebenssituation entwickelten
• Assoziation zu Grawes Wirkfaktor „motivationale Klärung“, d.h. sich selbst
besser verstehen und annehmen können

Empowerment • Die Diagnose stiftet Ho nung im Sinne positiver Änderungserwartung und
dem Erleben von Selbstwirksamkeit und Änderungsmotivation
• Übergeordnetes Ziel bei der Diagnosevermittlung
• Beispiel Schizophrenie: Empowerment wird durch Shared decision making
(partizipative Entscheidungs ndung) hergestellt. Die Beteiligung des
Patienten an der Behandlung ist maßgeblich wichtig

Sinngebung/inneres • Die Auseinandersetzung mit der Diagnose wird mit dem Erleben von Sinn
Wachstum und innerem Wachstums im Sinne einer erhöhten Selbstre exion und
Achtsamkeit assoziiert.
• Bekannt insb bei PTBS (nicht bei allen Diagnosen zutre end, deshalb auch
nicht normalverteilt)
• Post-traumatic growth (posttraumatisches Wachstum)


Dysfunktionale Verarbeitung
Überidenti kation • Prozesse übermäßiger Identi kation mit der Diagnose und mit Mitpatienten
stehen im Vordergrund. Betro ene sind stolz auf ihre Diagnose und möchten
sie nicht loswerden.
• Problematische Fixierung auf Psychopathologie/Diagnose
• Bekannt insb. bei Subgruppe von Anorexia Nervosa und Bulimia Nervosa
• Diagnose wird eher als Lebensstil als ein Problem angesehen
• Diese Überidenti zierung war auch mit einem schlechten
Behandlungsergebnis verbunden
• Klinisch bekanntes Phänomen auch bei Borderline




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, Funktionalisierung • Die Diagnose wird funktionalisiert, um eigene Vorteile zu erlangen. Sie dient
(Sekundärer als Entschuldigung für eigenes Versagen und Passivität, und wird zudem
Krankheitsgewinn) genutzt, um andere Menschen an sich zu binden.
Schwierige Arbeitsaufträge an Therapeuten / Problematische
Therapieziele:
• Rentenbegehren (z.B. in der REHA: Patienten wollen nicht mehr arbeiten und
deshalb auch nicht mehr gesund werden)
• Erfolglose Therapie als Therapieziel: Beweis, dass nichts mehr geht ...
• Diagnose als Begründung / Entschuldigung für eigenes Versagen,
Arbeitslosigkeit
• Therapie, um sozialen Druck zu beruhigen (z.B. süchtige Partner, „entweder
Du machst eine Therapie oder ich verlasse dich“) — Dadurch
Therapiemotivation aber nicht gleich Veränderungsmotivation

Selbst- • Die Diagnose wird als stigmatisierender Makel erlebt. Betro ene fühlen sich
Stigmatisierung wertlos und betrachten die psychische Störung als Zeichen für Schwäche
• Dysfunktionale Verarbeitung und Stigmaforschung
• Selbststigma: Ich bordi
• Strukturelles/institutionelles Stigma: Fachpersonal „oh Gott bloß keine bordi“

Diagnosen und Stigma
• Schizophrenie (unberechenbar, gefährlich, stark biologisch determiniert, Pat nicht verantwortlich
dafür „sind krank“)
• Sucht (Charakterschwach, unberechenbar, gefährlich, selbst verantwortlich)
• Essstörungen (selbst verantwortlich, nicht gefährlich)
• Depression (schwach, faul)

Problem institutioneller Stigmatisierung
• Was wir mit unseren Patienten assoziieren, beein usst den Verlauf der Therapie und die
Prognose der Patienten
• Fazit: Suboptimale Versorgungssituation für Patienten mit schweren psychischen Störungen
• Veränderungen In der Bevölkerung bezüglich Stigmatisierung:
• Verbesserung bei Depression
• Keine Veränderung bei Schizophrenie
• Verschlechterung bei Sucht
• Deutliche Unterschiede zwischen Stadt- ↓ und Landbevölkerung ↑ (Entwicklung einer
Schizophrenie wird in der Stadt eher toleriert und Verstanden als in einem kleinen Dorf)
• Selbst bei Fachpersonal gibt es Stigmatisierung (P egekräfte-Studie):
• BPS = „manipulativ agierend und spaltend“
• BPS vor F2 vor Depression
• Erklärungshypothese: PKS = Interaktionsstörungen, selbst Professionelle werden
involviert vs. professionelle Distanzierung bei F2 u Dep?

Selbst-Stigmatisierung bei Schizophrenie
• Qualitative Interviews in Vorbereitung der Entwicklung eines Messinstruments
• Versch. Patientengruppen zu je 10 Patienten, eine Gruppe war Schizophrenie
• Zentrale Befunde:
Kategorie 1: Verleugnung Kategorie 2: Selbst-Stigmatisierung

Beispiel: „das stimmt nicht... kann nicht sein“ Beispiel:„das wars jetzt…ich bin ein Irrer“


Exkurs: Eigene DD-Studie
Weniger Selbststigmatisierung und mehr Selbstbestimmung bei Patienten mit Schizophrenie und
komorbider Cannabiskonsumstörung im Vergleich zu nicht komorbider Schizophrenie
• Schizophrenie (a) versus Schizophrenie & Cannabiskonsumstörung (b)
• Sowohl a als auch b mit hoher Stigmatisierung assoziiert
• Ergebnis: Komorbide (DD-)Patienten weniger Stigma und mehr Empowerment
Warum?
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