Differenzielle Psychologie FLB 1 Zusammenfassung
Differenzielle Psychologie – Theoretische Ansätze
Kapitel 1 – Einführung
Beschreibung des menschlichen Erlebens und Verhalten erschließt sich aus seiner Persönlichkeit, sein Cha-
rakter oder sein Temperament
1.1 Persönlichkeit, Charakter, Temperament
Persönlichkeit stellt das öffentliche, der Außenwelt dargebotene Bild eines Menschen dar (dabei ist die
Sichtweise nur auf die Aspekte, die wir an ihm wahrnehmen oder von denen er will, dass man sie wahr-
nimmt)
Charakter wird als ein individuelles erkennungsmerkmal einer Person betrachtet
Als Temperament werden häufig Persönlichkeitsmerkmale bezeichnet, die bereits in früher Kindheit vor-
handen sind (Ausprägung während Kindheit und Jugend relativ konstant)
- Fähigkeiten bzw. leistungsbezogene Merkmale (Intelligenz, Aufmerksamkeit, motorische Geschicklich-
keit) sowie körperliche (physische) Merkmale werden häufig nicht mit den Persönlichkeitsbereich zu-
gerechnet
1.2 Sieben Bereiche zur Beschreibung von Persönlichkeit
Definition von Persönlichkeit
Persönlichkeit ist „die mehr oder weniger stabile und dauerhafte Organisation des Charakters, Tempera-
ments, Intellekts und Körperbaus eines Menschen, die seine einzigartige Anpassung an die Umwelt be-
stimmt. Der Charakter eines Menschen bezeichnet des mehr oder weniger stabile und dauerhafte System
seines konativen Verhaltens (des Willens); sein Temperament das mehr oder weniger stabile und dauer-
hafte System seines affektiven Verhaltens (der Emotion oder des Gefühls); seine Intellekt das mehr oder
weniger stabile und dauerhafte System seines kognitiven Verhaltens (der Intelligenz); sein Körperbau das
mehr oder weniger stabile und dauerhafte System seiner physischen Gestalt und neuroendokrinen (hormo-
nalen Ausstattung)“
7 Bereiche zur Beschreibung von Persönlichkeit
- Persönlichkeit kann sich auf psychische und physische Merkmale beziehen
1. Morphologie:
Die Gestalt des Menschen betreffende Merkmale (z.B. Körpergröße, Körpergewicht, Hautfarbe)
2. Physiologie:
Merkmale des inneren Lebensvorgänge (z.B. Blutdruck, Körpertemperatur, Stoffwechselvorgänge)
3. Bedürfnisse:
Konstante Präferenzen für bestimmte Zustände (z.B. Anerkennung durch andere, Harmoniebedürf-
nis)
4. Interessen:
Konstante Präferenzen für Tätigkeiten (z.B. Basteln, Lesen)
5. Einstellungen:
Konstante Haltungen und Meinungen im Zusammenhanf mit sozialen Sachverhalten (z.B. Asyl-
recht, Geburtenkontrolle, Gleichberechtigung von Mann und Frau)
6. Eignung:
Fähigkeiten, die für bestimmte Tätigkeiten notwendig sind (z.B. intellektuelle oder motorische Fä-
higkeiten)
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, 7. Temperament:
Dispositionelle, d.h. veranlagungsbezogene, Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Freundlichkeit, Durch-
setzungsfähigkeit, Impulsivität)
1.3 Persönlichkeit und Individualität
- Alle Menschen teilen bestimmte Merkmale
- Kulturelle Einflüsse führen zu gruppenbezogenen Gemeinsamkeiten
- Jeder Mensch kann als Individuum betrachtet werden, Einzigartigkeit setzt sich aus der individuellen
genetischen Ausstattung und den individuellen Erfahrungen, die der Mensch im Laufe seines Lebens
macht, zusammen
1.4.1 Vorläufer der Persönlichkeitspsychologie – Die Temperamentslehre
Die Temperamentslehre von Hippokrates
- 4 Körpersäfte (gelbe Galle, schwarze Galle, Schleim und Blut) sind körperliche Manifestationen der Ele-
mente (Feuer, Erde, Wasser und Lust)
- 4 Körpersäfte ordnete er jeweils ein bestimmtes Temperament zu
• Gelbe Galle → Choleriker (werden als jähzornig beschrieben)
• Schwarze Galle → Melancholiker (durch Traurigkeit gekennzeichnet)
• Schleim → Phlegmatiker (werden als teilnahmslos beschrieben)
• Blut → Sanguiniker (hoffnungsvolles und sorgloses Wesen)
Die Temperamentslehre von Immanuel Kant
- Bezog sich auf das psychologische Temperament, das er vom physiologischen Temperament (der kör-
perlichen Konstitution und Komplexion) abgrenzte
- Kant unterteilte das psychologische Temperament und Temperament des Gefühls und Temperament
der Tätigkeit
- Beide Temperamentsarten werden danach unterteilt, ob sie mit Erregbarkeit der Lebenskraft oder Ab-
spannung der Lebenskraft verbunden werden können
- Schemata mit 4 Temperamentstypen:
• Sanguiniker: starke, aber nur kurzanhaltende Gefühle
• Melancholiker: schwache, aber langanhaltende Gefühle
• Choleriker: intensive, aber nur kurzfristige Aktivität
• Phlegmatiker: wird nicht leicht oder rasch, aber doch anhaltend aktiv
- Kant ersetzt die kausal-erklärende Temperamentslehre von Hippokrates durch eine deskriptiv-be-
schreibende Vorgehensweise
Die Temperamentslehre von Wilhelm Wundt
- Wundt gibt von den Dimensionen Stärke des Affekts und Schnelligkeit des Wechsels des Affekts
- Beide kontinuierliche Beschreibungsdimensionen ordnete er die klassischen Temperamente zu
• Choleriker und Melancholiker neigen zu starken Affekten, Sanguiniker und Phlegmatiker neigen zu
schwachen Affekten
• Sanguiniker und Choleriker sind anfälliger zu einem
schnellen Wechsel des Affekts, Melancholiker und
Phlegmatiker sind anfälliger zu einem langsamen
Wechsel des Affekts
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,1.5 Psychognostische Verfahren als vorwissenschaftliche Methoden der Persönlichkeitsforschung
Unter Psychognostik wird dabei generell eine Vorgehensweise zur Erlangung von Menschenkenntnis mit
Hilfe von im weitesten Sinne „psychologischen“ Untersuchungen
Hierbei werden speziell die Zusammenhänge zwischen bestimmten wahrnehmbaren körperlichen Merk-
malen oder motorischen Bewegungen eines Menschen und seiner individuellen Eigenart untersucht
3 wichtigsten Ansätze:
• Physiognomik
® Leitet Aussagen über die Persönlichkeit aus dem Gesichtsschnitt ab
• Phrenologie
® Leitet Aussagen über die Persönlichkeit aus der Form der Schädeldecke ab
® Starke Ausprägung eines Persönlichkeitseigenschaft lässt sich als Ausbuchtung oder Vorwöl-
bung der Schädeldecke identifizieren
® Schwächere Ausprägungen eines Persönlichkeitsmerkmals lässt sich als Eindellung oder Ver-
tiefung der Schädeldecke identifizieren
® Erwies sich für die Persönlichkeitsforschung als Sackgasse
• Grafologie
® Leitet Aussagen über die Persönlichkeit aus dem Schriftbild ab
® Grundgedanke besteht in der Annahme, dass die Persönlichkeit und die Fähigkeit eines Men-
schen zumindest teilweise auch in seinen Bewegungen (seiner Motorik) zum Ausdruck kom-
men
® Wird auch heute noch zur Persönlichkeitsbeurteilung eingesetzt
2 Hauptmängel bei der Bewertung der Psychognostik
1. Methodische Mängel, die sich in erster Linie auf die mangelhafte Elaboration, Standardisierung und
Überprüfung der Verfahren beziehen
2. Willkürliche Herausgreifen einer einzigen Symptomgruppe (Physiognomie: Gesichtsschnitt,
Phrenologie: Ausformung der Schädeldecke, Grafologie: Schriftbild) als alleiniges Erkennungsmit-
tel
- Daher müssen die Verfahren der Psychognostik als vorwissenschaftlich eingestuft werden
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, Kapitel 2 – Freuds psychoanalytische Theorie der Persönlichkeit
Der von Sigmund Freud (1856–1939) entwickelte psychoanalytische Ansatz kann als erste umfassende psy-
chologische Persönlichkeitstheorie betrachtet werden. Von Darwins biologischer Evolutionstheorie und
Konzepten der physikalischen Energie beeinflusst, entwarf Freud eine Theorie des menschlichen Verhal-
tens und Erlebens, die in erster Linie dazu beitragen sollte, psychopathologische Störungen zu verstehen
und erfolgreich zu behandeln.
2.1 Entstehungsgeschichten der Psychoanalyse
2 grundlegende Hypothesen der Psychoanalyse
1. Prinzip der psychischen Determiniertheit
• Dieses Prinzip besagt, dass menschliches Verhalten und Erleben nie zufällig entsteht, sondern im-
mer eine psychische Ursache hat. Dementsprechend ist es kein Zufall, wenn man beispielsweise
den Namen einer Person vergisst, etwas nicht wiederfinden kann oder sich verspricht
2. Bewusstheit von Motiven ist eher die Ausnahme als die Regel
• Die Annahme, dass psychische Prozesse, die das menschliche Verhalten bestimmten, meist unbe-
wusst sind, hat zur Folge, dass uns die eigentlichen Ursachen unseres Verhaltens in der Regel ver-
borgen bleiben
2.2 Aufbau und Struktur der Persönlichkeit
Freud betrachtet den Menschen als ein energetisches System, das aus dem Sexualtrieb und dem Aggressi-
onstrieb gespeist wird.
Die Triebenergie
• Sexualtriebs → Libido
• Aggressionstriebs → Destrudo
Diese beiden Triebe stellen nach Freud die einzige Energiequelle des menschlichen Verhaltens dar.
Vorbewusste und unbewusste Inhalte:
• Vorbewusst sind psychische Inhalte, die momentan nicht bewusst sind, die aber beispielsweise
durch Nachdenken oder verstärkte Aufmerksamkeit und Konzentration bewusst gemacht werden
können.
• Unbewusst sind psychische Inhalte, die der Person selbst nicht zugänglich sind, aber durch den
Einsatz psychoanalytischer Methoden, beispielsweise der freien Assoziation, bewusst gemacht
werden können.
Es, Ich und Über-Ich
Der psychische Apparat, besteht aus drei Instanzen:
- Im Es liegt der Ursprung der Triebe, folgt dem Lustprinzip, strebt sofor-
tige Triebbefriedigung an, hat aber keinen Kontakt mit der Außenwelt.
Die Prozesse sind unbewusst, also dem Bewusstsein nicht zugänglich.
- Das Ich wird auch als Vollstrecker der Triebe bezeichnet, muss zwischen den Triebbedürfnissen aus
dem Es und der Außenwelt vermitteln. Dabei folgt das Ich dem Realitätsprinzip und setzt sogenannte
Ich-Funktionen ein, wie beispielsweise Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis und Willkürmotorik, die es
dem Individuum ermöglichen, mit der Umwelt zu interagieren und sie zu beeinflussen.
- Das Über-Ich (moralische Instanz, das Gewissen) repräsentiert die traditionellen Werte und Ideale der
Gesellschaft und versucht nicht nur inakzeptable Impulse aus dem Es zu hemmen, sondern auch das Ich
zu „überreden“, realistische durch ethische Ziele zu ersetzen und nach Vollkommenheit zu streben.
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