Vorlesung 3: Was ist Gesellschaft?
**Einführung: Gesellschaft als die Welt des Menschen –
- Erfahrungen mit Gesellschaft prägen unser tägliches Leben.
- Trotz Selbstverständlichkeit ist die genaue Definition von Gesellschaft schwer.
- Jeder hat Vorstellungen davon, wie Gesellschaft ist oder sein sollte.
- Kritik, Erwartungen und Herausforderungen prägen unsere Beziehung zur Gesellschaft.
- Gesellschaft ist allgegenwärtig, aber schwer greifbar.
- Sie wird als Normalität, Gewohnheit, Herausforderung, Ärgernis oder Zwang erlebt.
- Menschen fühlen sich mal als Teil, mal als fremd gegenüber der Gesellschaft.
- Gesellschaft hat keine greifbare Gestalt, und es ist schwierig zu bestimmen, was genau
sie ausmacht und wo ihr Ort ist.
Exkurs
**Gesellschaft – Etymologie und Bedeutung:**
- **Etymologie:**
- Englisch: society, Französisch: société.
- Althochdeutsch: giselliscaft/gisellascaft - Kollektivform von gesellio (Raum- oder
Hausgenosse), abgeleitet von althochdeutsch sal (Raum, Unterkunft).
- **Historische Entwicklung:**
- Unter dem Einfluss des lateinischen "societas" erhielt Gesellschaft eine rechtliche
Bedeutung als förmlicher, vertragsgebundener Zusammenschluss.
- In der Neuzeit, besonders in der englischen und französischen Philosophie, wurde
society/société im Sinne von "gesittete, zivilisierte Menschheit" verwendet.
- Dies beeinflusste auch den deutschen Begri_ Gesellschaft („bessere Gesellschaft“).
- **Entwicklung der Bedeutung im 18. Jahrhundert:**
- Abstrakte und umfassende Bedeutung des Begri_s Gesellschaft entwickelte sich im
18. Jahrhundert.
- Beeinflusst durch Vorstellungen wie "civil society" von Adam Ferguson und Jean-
Jacques Rousseaus Verwendung von "société" als quasi-vertraglichem
Zusammenschluss aller Bürger.
- **Sozialwissenschaftliche Definition:**
- Seit dem 19. Jahrhundert wird um eine verbindliche, umfassende und eindeutige
sozialwissenschaftliche Definition gerungen.
- Der Begri_ Gesellschaft bleibt im Alltag für jeden verständlich, aber seine genaue
Bestimmung in der sozialwissenschaftlichen Kontext ist herausfordernd und umstritten.
**Einführung: Ist Gesellschaft sichtbar?**
- **Darstellung in soziologischen Lehrbüchern:**
, - Einbände von soziologischen Lehrbüchern verwenden oft Bilder von
Menschengruppen, z.B., Passanten, Einkäufern, Demonstranten, um Gesellschaft zu
repräsentieren.
- **Fragen zur Sichtbarkeit:**
- Was sieht man genau auf diesen Bildern?
- Kann man Gesellschaft wirklich sehen?
- Enthüllen solche Szenen wesentliche gesellschaftliche Prozesse?
- Sind Menschen auf den Bildern das Wesentliche in der Gesellschaft, oder gibt es
mehr?
- Ist das, was unseren Alltag prägt, wirklich in diesen Szenen sichtbar?
- Kann man die hintergründigen Kräfte und Strukturen erkennen?
- Sind wir selbst Teil der Gesellschaft oder stehen wir ihr gegenüber?
- **Grenzen der Gesellschaft:**
- Ist es möglich, die Grenze zu bestimmen, an der Gesellschaft aufhört?
- Existieren Sachverhalte, die nicht gesellschaftlich sind?
- Falls vorhanden, sind diese Sachverhalte bedeutungslos für die Gesellschaft?
**Gesellschaft und die Deutung des eigenen Selbst**
- **Ambivalentes Verhältnis zum Begri_ Gesellschaft:**
- Menschen sprechen ständig über Aspekte von Gesellschaft, aber auch über
individuelle Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung.
- **Selbstdeutung in modernen Gesellschaften:**
- Das Bewusstsein von Gesellschaft und die Thematisierung gesellschaftlicher Aspekte
sind selbstverständliche Elemente der Selbstdeutung in modernen Gesellschaften.
- Modernes Selbstbild betont Autonomie, Individualität und Selbstverwirklichung.
- **Historischer Wandel:**
- In der Geschichte dominierten Bezug auf transzendente Mächte oder Geburt als
Charakterisierung.
- Moderne Au_assungen von Gesellschaft und individuellem Selbst sind Ergebnis eines
geschichtlichen Wandels.
- **Gesellschaftliche Wirksamkeit der Vorstellungen:**
- Die Vorstellungen von Gesellschaft und individuellem Selbst beeinflussen das
Denken in der Moderne gesellschaftlich.
- **Wechselwirkung zwischen Welt- und Selbstbild:**
- Früher: Welt durch Natur oder göttlichen Willen gestaltet, und Einzelne durch
Herkunft und Zugehörigkeit charakterisiert.
- Moderne: Wirklichkeit ist gesellschaftlich gemacht, und das Individuum strebt nach
Freiheit und Eigenständigkeit.