Einführung der Kinder- und Jugendhilfe
Kinder- und Jugendhilfe bezeichnet eine ausdifferenzierte, sozialpädagogische Infrastruktur innerhalb des
Sozialstaates. Sie ist das größte Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit. Ausgangspunkt ist das Kinder- und
Jugendhilfegesetzt.
Im Mai 2021 wurde das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) beschlossen, das zu weitreichenden
gesetzlichen Änderungen im SGB VIII und auch darüber hinaus geführt hat und auch zukünftig führen wird.
1.1. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz: ein Paradigmenwechsel
Zentrale Grundlage für die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe gilt das achte Sozialgesetzbuch, das Kinder-
und Jugendhilfegesetz (SGB VIII/KJHG) – wurde 1990 vom Deutschen Bundestag verabschiedet und löste das
geltende Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) ab
Gründerphase der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe gilt die Zeit ab ca. 1878 bis zum Beginn der Weimarer
Republik
Im Jahr 1924 ist das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) in Kraft getreten – gab den beiden Bereichen der
Jugendwohlfahrt (Jugendfürsorge/Jugendpflege) eine einheitliche Rechts- und Verwaltungsgrundlage
Dieses Gesetz gilt als Meilenstein in der Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe, da es reichsweit dem
unkoordinierten Nebeneinander von öffentliche rund privater Fürsorge allmählich ein Ende bereitete.
Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz wird auch als eingriffsorientiertes Gesetz bezeichnet, das insbesondere den
Maßnahmen der Erziehungsinstitutionen eine rechtliche Grundlage gab und daher auch als Jugendamtsgesetz
bezeichnet werden kann
Im Rahmen einer zweiten Novelle, entstand 1961 das Hilfe-, Kontroll- und Eingriffsverständnis von Jugendhilfe
orientierte Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG).
Erst mit der Einführung des heutigen bestehenden Kinder- und Jugendhilfegesetzes wurden repressive
Maßnahmen des Staates ausgebaut und eine präventive Ausrichtung umgesetzt.
Grundlegende Neuerungen waren die Abschaffung der eher disziplinierenden Form der Erziehungshilfe, die
Verankerung eines förmlichen Rechtsanspruchs auf Hilfen zur Erziehung und die Verpflichtung der öffentlichen
Träger zur Bereitstellung einer allgemein fördernden Infrastruktur = Diese Neuausrichtung gilt als
Paradigmenwechsel der Jugendhilfe
Jugendamt wird auch Kinderklaubehörde genannt
Kinder- und Jugendhilfe ist ein sozialer Dienstleistungsbereich, der sich sowohl auf eine öffentliche Infrastruktur
zur Pflege, Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen als auch auf Interventionsaufgaben und das
sogennante Wächteramt des Staates bezieht. Wächteramt des Staates = bezeichnet den Auftrag des
Jugendamtes bzw. der Kinder- und Jugendhilfe, über das Wohl des Kindes zu wachen
§ 1 SGB VIII Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe
(1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer
selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen
obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere
1. Junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen,
Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen
2. Junge Menschen ermöglichen oder erleichtern, entsprechend ihrem Alter und ihren individuellen
Fähigkeiten in allen sie betreffenden Lebensbereichen selbstbestimmt zu interagieren und damit
gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu können,
3. Eltern und andere Erziehungsberechtige bei der Erziehdung beraten und unterstützen
4. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen und
5. Dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihren Familien sowie eine
kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.
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,Als soziales Dienstleistungsgesetz beinhaltet das Kinder- und Jugendhilfegesetz unterschiedliche Beteiligungs-
und Mitbestimmungsformen für junge Menschen und deren Eltern.
Durch das im Mai 2021 neu beschlossene Kinder- und Jugendstärkungsgestz (KJSG) wurden durch den
Gesetzgeber weitere Vorgaben gemacht, um die Beteiligung von Hilfeempfängern rechtlich zu fördern. Das
neue Gesetz beinhaltet zentrale Änderungen in fünf Bereichen, nämlich: besserer Kinder- und Jugendschutz,
Stärkung von Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der Erziehungshilfen
aufwachsen, Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung, mehr Prävention vor
Ort und mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien.
Die Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle jungen Menschen („Große Lösung“), also auch für
körperlich und geistig behinderte Kinder(inklusive KJHG) wird stufenweise vorbereitet und tritt erst im Jahr
2028 in Kraft.
Im Bezug auf das Leistungsspektrum der Kinder- und Jugendhifle können grundsätzlich zwei Formen
unterschieden werden:
• Leistungen, auf die ein individueller Rechtsanspruch besteht – spezifische Leistungen, z.B.
Kindergartenplatz, Hilfe zur Erziehung, im Streitfall einklagbar
• Leistungen der Infrastruktur – allgemeine Fördermöglichkeiten, z.B. Jugendarbeit, Familienbildung,
nicht individuell einklagbar
1.2. Die vielfältigen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe – ein Überblick
Die Aufgaben und Funktionen der Kinder und Jugendhilfe sind immer im Wechselspiel mit gesellschaftlichen
Entwicklungen zu bestimmen. Das bedeutet, dass die Kinder- und Jugendhilfe einerseits selbst Angebote
gestaltet und neu entwickelt, um positive Lebenslagen für die Adressaten zu gestalten, und andererseits auf
Unterstützungs- und Förderbedarfe reagiert. Aktuelle Entwicklungen sind dem sogenannten Kinder- und
Jugendbericht zu entnehmen
Jugendhilfeplanung –Bestandfeststellung und Bedarfserhebung in Bezug auf die Angebote der Kinder- und
Jugendhilfe. Der Jugendhilfeausschuss ist dafür zuständig
zentrales Steuerelement um eine systematische und innovative Entwicklung aller Handlungsfelder zu fördern
Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe werden in 5 Bereiche eingeteilt:
- Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz
- Förderung der Erziehung in der Familie
- Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege
- Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung oder
drohender seelischer Behinderung, Hilfen für junge Volljährige
- Andere Aufgaben (z.B. Inobhutnahme, Mitwirkung vor Vormundschafts-, Familien und
Jugendgerichten)
Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz
Jugendarbeit – ist ein vielfältiges Handlungsfeld, das sich an alle Kinder und Jugendlichen wendete und
allgemeine Erziehungs-, Freizeit- und Bildungsangebote bereitstellt
Jugendsozialarbeit – richtet sich an junge Menschen, die von sozialer Benachteiligung oder individueller
Beeinträchtigung betroffen sind
Schulsozialarbeit – wurde erst 2021 als eigener Paragraf (§13a) im Kinder- und Jugendhilfegesetz verankert;
umfasst sozialpädagogische Angebote, die jungen Menschen am Ort Schule zur Verfügung gestellt werden; zielt
darauf ab, junge Menschen im Kontext Schule individuell und über Gruppenangebote zu begleiten und so in
ihrer persönlichen Entwicklung zu fördern
erzieherische Kinder- und Jugendschutz (§14) – umfasst insbesondere Präventionsmaßnahmen mit dem Ziel,
junge Menschen zu stärken, zu belgeiten und ihre Entwicklung und Lernprozess zu fördern; Angebote zu
Themen wie Mobbing, Jungendschutzgesetz, Medienpädagogik, Prävention gegen sexualisierte Gewalt,
Suchtprävention etc.
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, Förderung der Erziehung in der Familie
Es werden Angebote bereitgestellt, mit denen Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung
unterstützt werden. Die unterschiedlichen Angebote reichen von primärpräventiven Leistungen über
Beratungsleistungen in konkreten Problem- und Belastungssituationen bis hin zu stationären Hilfen in
spezifischen Lebenssituationen.
Kenntnisse und Fähigkeiten in Frage von Erziehung, Beziehung, Konfliktbewältigung, von Gesundheit, Bildung,
Medienkompetenz, Hauswirtschaft sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aneignen können und in ihren
Fähigkeiten zur aktiven Teilhabe und Partizipation gestärkt werden
Exkurs: Frühen Hilfe
Frühen Hilfe stellt ein präventives und freiwilliges Angebot für alle Familien dar
Koordinierte Hilfeangebote für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten
Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der 0-3 jährigen. Richtet sich vorwiegend an
Familien mit belasteten Lebenslagen mit geringen Bewältigungsressourcen. Leisten einen Betrag zur Förderung
der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von Müttern und Vätern
Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege
Für Eltern besteht ab Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes bis sechs Jahre ein Rechtsanspruch auf ein
Betreuungs- und Förderungsangebot entweder in einer Kindertageseinrichtung oder Tagespflegestelle;
Bereitstellung ausreichender Kindertagesbetreuungsangeboten zählt zu der öffentlichen
Gewährleistungsverpflichtung
Hierbei handelt es sich um das größte Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe
Förderaufgaben in der Kindertagesbetreuung beziehen sich auf die drei Bereiche: Betreuung, Bildung, Erziehung
Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung oder
drohender seelischer Behinderung, Hilfe für junge Volljährige
Zweitgrößtes Handlungsfeld; Angebot verläuft in ambulanten, teilstationären und stationären Setting
Ansprüche auf Hilfen zur Erziehung bestehen dann, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen
entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist
Kinder und Jugendliche haben grundsätzlich auch die Möglichkeit, sich gegen den Willen ihrer Eltern ans
Jugendamt zu wenden und sich dort beraten zu lassen. Sollte das Kindeswohl gefährdet sein, muss das
Jugendamt das Familiengericht einschalten damit Teile der elterlichen Sorge entzogen und Hilfen gewährt
werden können
Formen der Hilfe zur Erziehung
Ambulante Hilfen: familienfokussierte Hilfen (Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienhilfe) und
jugendfokussierte Hilfen (soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistand, intensive sozialpädagogische
Einzelbetreuung)
Teilstationäre Hilfen: Tagesgruppe, sozialpädagogische Tagespflege
Stationäre Hilfen: institutionelle Unterbringungsformen (Heimerziehung und sonstige Wohnformen), semi-
institutionelle Unterbringungsformen (Sonderpflege in Familie, Erziehungsstellen/SPLG; nicht- institutionelle
Unterbringungsformen (Vollzeitpflege in Familien)
Unspezifische Hilfen: Hilfen nach § 27 Abs. 2 SGB VIII
Eingliederungshilfe
Bei der Eingliederungshilfe bei einer seelischen Behinderung haben Kinder und Jugendliche, sofern die
seelische Behinderung durch einschlägig ausgebildete Ärzte oder Psychotherapeuten gutachterlich bescheinigt
wird, einen eigenständigen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe
Hilfe für junge Volljährige
Wird In der Regel bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt, wenn und solange ihre
Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbstständige Lebensführung nicht
gewährleistet
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