DIE DEUTUNG VON TRÄUMEN:
IV. TRAUMENTSTELLUNG (165-8)
Sigmund Freud (1900)
Zusammenfassung:
ANALYSE
Der Ehemann der Patientin, ein stämmiger Mann, der den Wunsch geäußert hatte, Gewicht zu verlieren und eine strenge Diät zu
beginnen, spottete über die Vorstellung, von einem Maler porträtiert zu werden. Trotz der Witze ist die Patientin in ihn verknallt
und scherzt, dass sie keinen Kaviar geschenkt bekommen möchte, obwohl sie sich insgeheim danach sehnt, ihn jeden Tag essen zu
können. Dieser Widerspruch lässt mich vermuten, dass hinter ihrem Handeln Hintergedanken stecken. Vielleicht spiegelt deine
Ablehnung von Kaviar tatsächlich einen unerfüllten Wunsch wider, wie dein Traum suggeriert, und ich frage mich, was der Zweck
sein könnte, einen unerfüllten Wunsch in deinem Leben zu brauchen.
Nun reichen die Begebenheiten nicht mehr aus, um den Traum zu deuten. Ich bitte Sie, mir mehr zu erzählen. Nach einer kurzen
Pause, als hätte sie einen Widerstand überwunden, teilt sie mir mit, dass sie gestern eine Freundin besucht hat, auf die sie
eifersüchtig ist, weil ihr Mann sie zu sehr lobt. Zum Glück ist diese Freundin schlank und ihr Mann bevorzugt kurvige Frauen. Wovon
sprach dieser dünne Freund? Von Ihrem Wunsch, ein wenig zuzunehmen.
Er fragte auch: "Wann laden Sie uns wieder ein? Das Essen in deinem Haus ist so lecker!" Jetzt ist die Bedeutung des Traumes klar.
Ich kann dem Patienten sagen: "Es ist, als ob du denkst: 'Sobald ich dich einlade, damit du bei mir zu Hause essen kannst, wirst du
dicker und mein Mann kann mich noch mehr mögen. Ich gebe lieber keine Mahlzeiten mehr." Dann sagt dir der Traum, dass du
keine Mahlzeiten mehr geben kannst, und so erfüllst du dir deinen Wunsch, nicht dazu beizutragen, den Körper deines Freundes
zu vervollständigen.
Der Traum selbst lässt eine andere, feinere Deutung zu, die ein zusätzlicher Umstand noch notwendig macht. Die beiden
Interpretationen widersprechen sich nicht, sondern überschneiden sich und liefern ein schönes Beispiel für die Doppeldeutigkeit,
die in Träumen und allen anderen psychopathologischen Formationen üblich ist. Wir haben bereits herausgefunden, dass der
Patient gleichzeitig mit dem Traum von der Ablehnung des Begehrens danach strebte, ein in Wirklichkeit verleugnetes Verlangen
(das Kaviarsandwich) zu beschaffen. Die Freundin hatte auch den Wunsch geäußert, zuzunehmen, und es würde uns nicht
wundern, wenn unsere Patientin geträumt hätte, dass der Wunsch ihrer Freundin nicht in Erfüllung ginge.
Tatsächlich ist es ihr eigener Wunsch, dass ihrer Freundin ein Wunsch verwehrt bleibt: dass ihr Körper gedeiht. Doch stattdessen
träumt sie, dass ein Wunsch für sich selbst nicht in Erfüllung geht. Der Traum erhält eine neue Deutung, wenn er sich nicht auf sich
selbst, sondern auf seinen Freund bezieht, wenn er sich in ihre Lage versetzt oder, wie man sagen kann, sich mit ihr identifiziert
hat.
Ich glaube, dass dies wirklich geschehen ist, und als Zeichen dieser Identifikation wurde das verleugnete Verlangen in der Realität
geschaffen. Nun, was ist der Sinn der hysterischen Identifikation? Um dies zu klären, wäre eine detaillierte Darstellung erforderlich.
Die Identifizierung ist ein äußerst wichtiger Aspekt des Mechanismus hysterischer Symptome; Aus diesem Grund drücken Patienten
in ihren Symptomen die Erfahrungen einer ganzen Reihe von Menschen aus, und nicht nur ihre eigenen. Es ist, als würden sie für
eine ganze Gruppe von Menschen leiden und alle Rollen in einem Drama mit ihren eigenen persönlichen Ressourcen spielen.
Hysterische Identifikation wird am häufigsten verwendet, um eine sexuelle Gemeinschaft auszudrücken. Die hysterische Frau
identifiziert sich in ihren Symptomen bevorzugt, wenn auch nicht ausschließlich, mit Menschen, mit denen sie sexuelle
Beziehungen hatte oder die sexuelle Beziehungen mit denselben Menschen wie sie haben. Auch die Sprache offenbart diese
Vorstellung. Zwei Liebende werden als "eins" betrachtet. Sowohl in hysterischen Fantasien als auch in Träumen genügt es, an
sexuelle Beziehungen zu denken, damit eine Identifizierung stattfindet, ohne dass sie real sein müssen.
Unsere Patientin folgt also der Regel der hysterischen Denkprozesse, wenn sie Eifersucht auf ihre Freundin ausdrückt (die sie
übrigens selbst als ungerechtfertigt anerkannt hat), sich im Traum in ihre Lage versetzt und sich mit ihr identifiziert, indem sie ein
Symptom erzeugt, in diesem Fall das verweigerte Verlangen. Der Vorgang lässt sich noch folgendermaßen erklären: Sie versetzt
sich im Traum in die Lage ihrer Freundin, weil diese ihren Platz vor ihrem Mann einnimmt, und sie möchte sich den Platz aneignen,
den ihre Freundin in der Wertschätzung ihres Mannes einnimmt.
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