Vorlesung: Die Frühe Neuzeit – Ein Überblick
Wann beginnt die Frühe Neuzeit?
Um 1450: Erfindung des Buchdrucks
1453: Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen (→ Ende des Byzantinischen
Reiches)
1492: Abschluss der Reconquista* in Spanien
1492: Entdeckung Amerikas
1497-1499: Entdeckung des Seewegs nach Indien
1495: Beginn der Reichsreform
Um 1500: Verbreitung von Humanismus und Renaissance nördlich der Alpen
1517: Beginn der Reformation
1543: Nikolaus Kopernikus (De revolutionibus orbium coelestium)
Wann endet die Frühe Neuzeit?
Unabhängigkeit der USA 1776: Dekolonisation, Republik, Freiheitsrechte,
geschriebene Verfassung
Französische Revolution 1789/91: Menschen- und Bürgerrechte, Abschaffung des
Feudalsystems, konstitutionelle Monarchie, Republik
Anfänge der industriellen Revolution in England (Dampfmaschine, Mechanisierung
der Baumwollindustrie, neue Verfahren der Eisen- und Stahlproduktion)
Koalitionskriege 1792-1815: Umwälzung der politischen Landkarte Europas
Ende des Heiligen Römischen Reiches: 1806
Fernand Braudel – Modell der 3 Zeitebenen
Ebene der kurzen Dauer (Ereignisgeschichte)
Ebene der mittleren Dauer (Strukturgeschichte)
Ebene der langen Dauer (Geschichte des Menschen in seiner Umwelt → Klima,
Mentalitäten)
,2. Sitzung: Klima, Bevölkerung, Wirtschaft
Bevölkerungsentwicklung in Europa
Rückgang der Bevölkerung in Deutschland (1700) durch Folgen des 30jährigen
Krieges; in Spanien durch Epidemien
Frühe Neuzeit als „vorstatistisches Zeitalter“ → zuverlässige Volkszählungen erst im
18. Jahrhundert (vorher Schätzungen und Hochrechnungen)
Demographische Krise 1350-1470 (Pestwellen); 1348 erstmals „schwarzer Tod“ →
dann Bevölkerungswachstum 1470-1620
„kleine Eiszeit“ ca. 1570 -1700 (verminderte Aktivität der Sonne, Zunahme von
Wetterextremen/Naturkatastrophen → z.B. Vulkanausbrüche); Temperaturrückgang
um 1-2 Grad
Folgen für Landwirtschaft: kürzere Wachstumsperioden, sinkende Erträge, häufigere
Ernteausfälle
Subsistenzkrisen → Missernten – steigende Getreidepreise – höhere Sterblichkeit
Getreide muss zum Teil mit weniger guten Nahrungsmitteln (z.B. Gräser) ersetzt
werden
Frühneuzeitliche Demographie
Wiederkehrende Epidemien: Pest, Pocken, Ruhr (am häufigsten betroffen → ältere
Menschen und Säuglinge)
Kriege: Verbreitung von Seuchen mit den Söldnerheeren; Versorgungskrisen durch
Belagerungen und Plünderungen
Hohe Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit (20-50%) → bis ins 19. Jhd.
Lebenserwartung: 35 -40 Jahre
European Marriage Pattern: relativ hohes Heiratsalter → 25-28 Jahre; 10 – 20% der
Bevölkerung bleiben unverheiratet (Findelhäuser für uneheliche Kinder)
Haushalte: Kernfamilien in Nord- und Westeuropa; komplexe Haushalte im
Alpenraum, Oberitalien, Balkan
Kontrolle vorehelicher Sexualität
Stillgewohnheiten und Geburtenhäufigkeit (Intervalle zwischen zwei Geburten größer
wenn Frau länger stillt)
Bevölkerungswachstum im 18. Jahrhundert
Europa nach 1750: Ausbruch aus der „malthusianischen Falle“ (Hemmnis für
wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum)
Starkes Bevölkerungswachstum in England und Deutschland; Stagnation in Frankreich
Ursachen für Wachstum: sinkende Sterblichkeit; Ende der „kleinen Eiszeit“;
Agrarreformen; Anbau neuer Nutzpflanzen (z.B. Kartoffeln); Rückzug der Pest; erste
medizinische Fortschritte (Pockenschutzimpfung)
‼trotzdem kommt es weiterhin zu Subsistenzkrisen (z.B. europäische Hungerkrise
1770-1772)
Ländliche Gesellschaft: Familie und Haushalt
, Große Mehrheit der Bevölkerung lebt auf dem Land (regionale Unterschiede)
Paternalistische Norm des „Ganzen Hauses“ (Otto Brunner) bildet nicht die
Wirklichkeit ab → viele hatten nicht die Voraussetzung dafür
Vielfalt bäuerlicher Haushaltsformen (abhängig von Erbrecht, Ökosystem,
Rechtsstellung)
Großbäuerliche Haushalte sind meist deutlich größer als kleinbäuerliche (mehr
Gesinde)
Gesindedienst als Lebensphase (immer nur für ein paar Monate, max. 1-2 Jahre)
Arbeitsteilung der Geschlechter: Mann und Frau als Arbeitspaar
Ländliche Gesellschaft und agrarische Wirtschaft
Dorf: wirtschaftlicher Nutzungsverband und politische Korporation (begrenzte
Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene)
Soziale Unterschiede; nur Besitzer von Hofstellen sind vollberechtigte
Gemeindemitglieder
Allmenden, Commons: Nutzungsrechte auch für unterbäuerliche Schichten
Getreideanbau (Ausdehnung im 16. Jhd., Krisenanfälligkeit im 17. Jhd.) → am meisten
verbreitet: Roggen; Viehwirtschaft
Spezialkulturen (Wein, Flachs, Gemüse…)
Bäuerliche Strategien: Risikominimierung und Sicherung der Subsistenz
Modell der Dreifelderwirtschaft (Sommergetreide, Wintergetreide, Brache → Acker/
Wiese); im 18. Jhd. Neue Nutzungsformen (Fruchtwechselwirtschaft)
Unterschiedliche Betriebsgrößen: Großbetriebe (Gutshöfe) v.a. im östlichen
Mitteleuropa (Pommern, Böhmen, Brandenburg-Preußen)
Ländliches Gewerbe: Verlagssystem, „Proto-Industrialisierung“ (Serienproduktion von
Gütern und Waren)
Urbanisierung und städtische Wirtschaft
Kennzeichen von Städten: Privilegien, Stadtmauer, Markt- und Verwaltungsfunktion,
Zentralität (höhere Schulen, Bibliotheken…)
Hoher Urbanisierungsgrad im Mittelmeerraum und in den Niederlanden; schwache
Urbanisierung in Skandinavien und Osteuropa
Viele Kleinstädte unter 2.000 Einwohnern; wenige Großstädte → in Franken:
Nürnberg, Bamberg, Würzburg
Hohe Sterblichkeit in Städten / Wachstum durch Zuwanderung
Relativ wenige Neugründungen von Städten (viele stammen aus dem Mittelalter)
Neugründungen: Bergbau → Freiberg, Annaberg / Residenzen → St. Petersburg,
Karlsruhe)
Handel und Handwerk als wichtige Wirtschaftssektoren
Frühneuzeitliche Metropolen: Antwerpen
Wachstum: von ca. 40.000 Einwohnern auf 100.000 Einwohnern (1500-1565)