7. Kapitel: Geschäftsführung ohne Auftrag
§ 35. Überblick
Überblick GoA (§§ 677-687)
I. Begriff
bei der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) besorgt jemand (Geschäftsführer) das
Geschäft eines anderen ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu
berechtigt zu sein (§ 677)
Interessenskonflikt: „Recht des Eigentümers, selbst zu entscheiden“ vs. „Zivilcourage“
II. Arten
1. echte GoA (Geschäftsführung für einen anderen, d.h. mit FGW)
a) berechtigte GoA
→ im Willen des Gh.
→ Folge: gesetzliches Schuldverhältnis
b) unberechtigte GoA
→ gegen den Willen des Gh.
→ Folge: kein gesetzliches Schuldverhältnis
2. unechte GoA (Eigengeschäftsführung, d.h. ohne FGW)
a) irrtümliche Eigengeschäftsführung (§ 687 I)
→ Folge: keine GoA-Normen anwendbar, nur die allgemeinen Regeln
b) angemaßte Eigengeschäftsführung (§ 687 II)
→ Folge: Wahlrecht des Gh. zwischen bestimmten GoA-Normen oder
allgemeinen Regeln
III. Prüfungsschema (echte berechtigte GoA; s.u.)
1. Geschäftsbesorgung
2. fremdes Geschäft
3. Fremdgeschäftsführungswille
→ wenn (-), dann unechte GoA (§ 687, s.u.)
4. ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung
5. Berechtigung iSd § 683 S.1
→ wenn (-), dann echte unberechtigte GoA
§ 36. Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag
Berechtigte GoA
I. Voraussetzungen
1. Geschäftsbesorgung
(rechtliches oder tatsächliches Tätigwerden des Geschäftsführers für den
Geschäftsherrn, § 677
2. fremdes Geschäft
Geschäftsherr muss nicht bekannt sein (§ 686)
a) objektiv fremdes Geschäft
→ Geschäft gehört zum Rechtskreis eines anderen; FGW vermutet
b) objektiv neutrales (subjektiv fremdes) Geschäft:
→ nicht feststellbar, zu welchem Rechtskreis das Geschä� gehört
c) auch fremdes Geschäft:
→ Geschäft gehört zumindest auch zum Rechtskreis eines anderen; FGW vermutet
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, → (+) bei allgemeinen öffentlich-rechtlichen Pflichten (bspw. § 323c)
→ (-) bei speziell öffentlich-rechtlichen Pflichten
→ (-) bei vertraglicher Verpflichtung zur Geschäftsbesorgung (vgl. unten „osB“)
→ (-) bei Ausgleich bei Gesamtschuldnerschaft im Ivh, da § 436 abschließend
→ (-) bei nicht Gesamtschuldnerschaft, da dann kein Geschäft für einen anderen
(P) „Selbstgefährdung im Straßenverkehr“: fG (+), wenn Fahrer zumindest den Zweck
verfolgt, den anderen vor einem Schaden zu bewahren, und der Zusammenstoß ein
durch höhere Gewalt verursachtes Ereignis gewesen wäre, sodass der Fahrer nicht nur
versucht, seiner eigenen Haftung gem. § 7 I StVG zu entgehen
3. Fremdgeschäftsführungswille (§ 677; bei Fehlen: § 687)
a) Gf. muss bewusst sein, dass das Geschäft fremd ist
→ wenn (-), dann unechte GoA iS der irrtümlichen Eigengeschäftsführung
(§ 687 I)
b) Gf. muss den Willen haben dieses Geschäft für einen anderen zu führen
→ wenn (-), dann unechte GoA iS der angemaßten Eigengeschäftsführung
(§ 687 II)
(P) „Selbstgefährdung im Straßenverkehr“: FGW (+), wenn der Fahrer in einer
spontanen, also vom Bewusstsein nicht kontrollierten Reaktion, das Steuer
herumreißt, um einen anderen Verkehrsteilnehmer nicht zu schädigen, wobei er eine
Eigenschädigung in Kauf nimmt
4. ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung
keine sonstige Legitimation oder Verpflichtung zur Geschäftsbesorgung (Auftrag, Dv…)
→ allgemein öffentlich-rechtliche Pflichten kein Auftrag iSd § 677 (zB § 323c), da nur
Pflichten gegenüber der Allgemeinheit existieren, nicht aber ggüber dem Gh.
→ beachte: nachbarschaftliches Gemeinschaftsverhältnis aus § 242 (eher -)
→ (P) nichtiger Vertrag = Auftrag/Berechtigung, d.h. GoA anwendbar?
(+)
(-), da fremdes Geschäft, FGW fehlt und für die Rückabwicklung rechtsgrundloser
Leistungen nur die Leistungskondiktion vorgesehen ist; weitergehende Ansprüche
aus GoA sind ausgeschlossen
5. Berechtigung zur Übernahme der Geschäftsbesorgung
a) Übernahme
(1) im objektiven Interesse (objektiv nützlich und sachlich vorteilhaft?, beachte
v.a. in der Folge unverhältnismäßige Aufwendungsersatzansprüche) und
(2) mit wirklichem oder mutmaßlichem Willen (objektiv zum Zeitpunkt der
Geschäftsbesorgung) des Geschäftsherrn (§ 683 S.1)
(P) muss Interesse UND Wille vorliegen? Wortlaut (+), telos (-)
b) Erfüllung einer Pflicht im öffentlichen Interesse oder einer gesetzlichen
Unterhaltungspflicht (§§ 683 S.2, 679)
c) Genehmigung der Geschäftsführung durch den Geschäftsherrn (§ 684 S.2)
→ wenn (-), dann echte unberechtigte GoA, d.h. kein Schuldverhältnis (s.o.)
II. Rechtsfolgen
berechtigte GoA dient als Rechtsgrund und schließt damit bereicherungsrechtliche
Ansprüche aus (bspw. §§ 951, 812ff)
1. Pflichten des Geschäftsführers
a) Ordnungsgemäße Geschäftsführung (§ 677)
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, b) Nebenpflichten
insb. Anzeige-, Rechenschafts-, Herausgabepflichten (§§ 681, 666-668)
c) Schadensersatzpflicht bei Pflichtverletzungen
(§§ 280 ff., §§ 823 ff., beachte §§ 680, 682 zur Haftungsmilderung)
2. Ansprüche des Geschäftsführers
a) Aufwendungsersatz (§§ 683 S.1, 670)
Ausnahme: § 685 (bei Schenkungsabsicht des Gf.)
(P) auch Entgelt für eigene Arbeit erfasst?
(-), da Beauftragter grds. unentgeltlich tätig wird (vgl. § 662)
(+), da Rechtsgedanke des § 1835 III (Geschäftsbesorgung liegt in der beruflichen
Sphäre des Geschäftsführers); Gh. kann nicht erwarten, dass ihm
Arbeitsleistungen, die er üblicherweise nur gegen Entgelt verlangen kann, umsonst
erbracht werden (Entgelt iH der üblichen Vergütung; § 632 II analog)
(P) auch Eigenschäden erfasst?
(-), da Schaden kein freiwilliges Vermögensopfer
(+), wenn Schaden Folge der typischen und erkennbaren Gefahrenlage der
Geschäftsbesorgung (d.h. § 670 analog; freiwillige Übernahme des Schadensrisiko
= Aufwendung); ggf. Berücksichtigung von Mitverschulden (§ 254)
b) Befreiung von einer eingegangenen Verbindlichkeit (§§ 683, 670, 257)
III. (beschränkte) Geschäfts(un)fähigkeit
1. Geschäftsherr
GoA (+);
bei Willen, Interesse ist dann auf den gesetzlichen Vertreter abzustellen
2. Geschäftsführer
- GoA (+), da die §§ 104 ff. nicht analog anwendbar sind
→ keine eigene Verpflichtungsmöglichkeit des Gf., da bei Vertragsschluss nichtig
gem. §§ 107 ff.
→ bei Handeln in fremdem Namen (Vertreter ohne Vertretungsmacht): kein
Risiko wegen § 179 III
→ für Übernahme von tatsächlichen Handlungen ist eine Geschäftsfähigkeit
ohnehin nicht geboten
→ hinreichender Schutz des Geschäftsherrn durch Erfordernis des „objektiven
Interesse seinerseits an der konkreten Geschäftsführung“ (s.o.)
→ Umkehrschluss aus § 682: setzt die Möglichkeit eines nicht geschäftsfähigen
Gf. gerade voraus
- GoA (-), da eine Geschäftsbesorgung = geschäftsähnliche Handlung, auf die die
Regeln der §§ 104 ff. analog angewandt werden; damit scheitert die GoA ohne
Einwilligung an § 111 analog beim bGf. bzw. endgültig beim Guf.
→ folgt auch aus § 682, der alle Ansprüche des Gh. ggüber dem beschränkt
Geschäftsfähigen ausschließt
→ dann sind umgekehrt auch die Ansprüche des beschränkt Geschäftsfähigen
aus § 683 S.1 ausgeschlossen
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