Zusammenfassung Schriftspracherwerb - Agi Schründer-Lenzen
Sprachwissenschaftliche Grundlagen
- Das Deutsche basiert auf einem phonologischen System -> verschiedene
Schriftzeichen beziehen sich auf Aspekte der Lautung von Wörtern; allerdings:
Buchstaben entsprechen nicht in einer 1:1 Zuordnung der gesprochenen Sprache ->
Deutsch als „lautorientierte“ Alphatbetschrift
- Korrespondenz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zwischen Phonem
und Graphem (und nicht zwischen Buchstabe und Laut)
- Phonem: abstrakte Lauteinheit, die zu einer Bedeutungsveränderung des Wortes
führt/ kleinste bedeutungsdifferenzierende Segmente der Lautsprache
-> Bsp: Kiste/ Piste -> /K/ und /P/ jeweils als Phoneme -> dadurch ändert
sich Wortbedeutung grundlegend -> sogenannte „Minimalpaare“ ->
unterscheiden sich nur in einem Phonem, haben aber unterschiedliche
Bedeutung
-> Phoneme werden anhand ihrer artikulatorischen Stellung und Betonung
beschrieben
1) Vokale -> stimmhaft
1.1) gespannte Vokale -> zumeist lang -> wenn sie in offener Silbe stehen ->
Bsp.: Reh, schief, Ameise
1.2) ungespannte Vokale -> zumeist kurz -> vor mind. 2 Konsonanten Bsp.:
Kind, Stern
2) Konsonanten
2.1) stimmlos
2.2) gewisser Anteil an Sonorität
2.2.1) geringe Sonorität -> Plosive -> p und b, t und d, k und g
2.2.2) Obstruierten -> Frikative wie f und v, s und z, sch, c und j, x…
2.2.3) Sonoranten -> Nasale wie m, n; lateral gesprochener l Laut; r
(vibrierender Laut -> auch als Vibrant bezeichnet)
——-> Laterale und Vibranten werden als Liquide bezeichnet
Warum sind diese Kenntnisse wichtig für Schulalltag?
Gibt Lehrkräften eine Orientierung, um Kindern bei der Unterscheidung einzelner
Grapheme und ihrer Lautung zu helfen (z.B. Kinder halten sich die Hand vor Mund ->
können spüren, dass unterschiedliche Stärke des Luftstroms gefühlt werden kann -> z.B.
bei b und p oder g und k (welche häufig verwechselt werden) -> sensibilisiert die Kinder
für Differenz der Laute)
- Allophon (werden in eckigen Klammern geschrieben): dialektal gefärbte
Aussprachevarianten, die die Bedeutung eines Wortes nicht verändern
Internationales phonetisches Alphabet
-> Aussprachevarianten eines Lautes, die bei Austausch nicht zu
Bedeutungsveränderung eines Wortes führen -> Phone
Reduktionsvokale (je nach Literatur 1-2):
- Schwa-Laut -> nur noch schwach artikulierter Laut -> z.B. e in Riese oder Vase -> wird
von den Kindern in den ersten Verschriftlichungen häufig vergessen
- Als zweiter Reduktionsvokal kann auch a gesehen werden -> z.B. Vater er als a
gesprochen
,Grapheme -> Buchstaben oder Buchstabengruppen, die mit einem Phonem
korrespondieren.
Z.B. A-Laut wird richtschriftlich unterschiedlich realisiert und unterschiedlich gesprochen
-> Varianz der Phonem-Graphem-Korrespondenz -> stellt ein zentrales Problem der
Rechtschreibung dar -> insgesamt 40 Phoneme, die durch unterschiedliche Buchstaben
und Buchstabenkombinationen repräsentiert werden
Phonem-Graphem-Korrespondenz:
- Das Faktum der Lautorientierung der Deutschen Sprache
- ein Laut kann durch verschiedene Buchstaben und Buchstabenkombinationen
orthografisch korrekt geschrieben werden
- klassifiziert das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache
Basis- und Orthographeme:
-> Grund der Unterscheidung: Häufigkeit mit der ein bestimmtes Phonem durch die
verschiedenen möglichen Grapheme verschriftet wird ist unterschiedlich z.B. lang
gesprochenes i mit ie deutlich häufiger als langes i mit ih oder einzeln stehendes i
- Basisgrapheme: statistisch häufigste Graphemformen
- Orthographeme: nur mit geringer Häufigkeit auftretende Grapheme (deuten damit
bereits auf orthographische Besonderheiten hin)
-> Beispieltabelle Seite 21
Anlauttabellen
Hilfsmittel, in denen Buchstaben oder auch Buchstabenkombinationen durch Bilder
veranschaulicht werden, die jeweils im ersten Laut mit dem jeweils zugeordneten
Graphem korrespondieren sollen
Problematiken:
- Anlauttabellen können durch die Wahl ihrer Bilder eine Phonem-Graphem-
Korrespondenz suggerieren, die nicht den sprachstatistischen Gegebenheiten
entspricht
Z.B. „Igel-Fehler“ -> Kind spricht Igel und lernt fälschlicherweise: „wenn ich ein langes i
spreche schreibe ich i“ -> aber meistens nicht der Fall (meist als ie geschrieben); I bei Igel
als Ortographem
-> daher sollten Basisgrapheme für Anlauttabellen genutzt werden (und nicht
Orthographeme) -> Bilder und Veranschaulichungen, die die dominante
Verschriftlichungsform der Anlaute repräsentieren (Einhaltung dominanter Beziehungen
zwischen Phonem und Graphem in Anlauttabellen)
- Inkonsistent -> nur für einige Vokale zwei Varianten der lautlichen Realisierung (aber
nicht für alle)
Z.B. Baustein-Fibel von 2008: E -> Esel (für geschlossen gesprochenes e), Ente (für offen
gesprochenes e); aber für alle anderen Vokale nur eine Variante
- Gibt auch Anlauttabellen, die nicht nur für erstes Schreiben verwendet werden sollen,
sondern auch für Lesen
-> enthalten auch Phonem-Graphem-Kombinationen, die im Deutschen nicht am
Wortanfang vorkommen z.B. „ng“ in Gong
-> wenn überhaupt nur begrenzt möglich denn: Grapheme können bis zu 6 Phoneme
repräsentieren (z.B. y in Myrre, Psyche, Sibylle, Yards, Nylon)
,Graphem-Phonem-Korrespondenz:
Als Graphem-Phonem-Korrespondenz wird die Tatsache bezeichnet, dass ein Buchstabe
bzw. Eine Buchstabenkombination je nach Wortkontext ganz unterschiedlich
ausgesprochen wird.
Prinzipien der deutschen Rechtschreibung:
Nach Rieme 1974
1) Phonologisches Prinzip
2) Morphematisches Prinzip
3) Grammatisches Prinzip
4) Semantisches Prinzip
5) Historisches Prinzip
6) Graphisch-formales Prinzip
1) Phonologisches Prinzip
- wird durch die Regeln der Phonem-Graphem-Korrespondenz bestimmt ->
phonographischer Lernweg
- 1 Regel: Repräsentation von Lautklassen (Phoneme) durch Buchstaben bzw.
Buchstabenkombinationen (Grapheme)
- Nach Nauman 1989: 73% der Laute durch den häufigsten Buchstaben repräsentiert
-> daher „lautorientiertes“ Schreiben für den schriftsprachlichen Anfangsunterricht
sinnvoll -> eine Fülle an Wörtern, die durch lautgetreue Verschriftung orthographisch
korrekt geschrieben werden können
Dabei zu beachten: geübte Schreiber glauben häufig Wörter lautgetreu schreiben zu
können, die der Anfänger anders verschriftlichen würde (Anfängern steht noch keine
Rechtschreibsprache zur Verfügung, aber auch dialektale und umgangssprachliche
Abweichungen); z.B. r in Birne oder Körper -> r am Ende einer Silbe und nach einem
Vokal -> wird mit Vokal zu fallendem Diphthong -> nicht deutlich als r gesprochen,
sondern verschluckt; hierbei bringt es nicht die Schüler aufzufordern „deutlicher“ zu
sprechen! (denn dafür muss man erst wissen, was deutlich gesprochen werden soll)
- phonologische Schreibung auch dann wenn gesprochenes Wort artikulatorisch und
auditiv in Silben unterteilt wird und diese den Bezugspunkt rechtschriftlicher
Überlegungen bilden -> silbischer Lernweg
Begründungslinie: erleichtert die Prozesse der Worterkennung beim Lesen und ermöglicht
systematischen Zugang zu den Regularien der Wortschreibung
-> genauere Beschreibung der Silben unten
2) Morphematisches oder Etymologisches Prinzip (Stammprinzip)
- Herkunftsverwandte Wörter entsprechen sich auch dann in ihrer Schreibweise, wenn
sie unterschiedlich artikuliert werden -> damit kommt es zu Abweichungen zu
lautorientierten Schreibweisen
-> typisches Beispiel:
- Auslautverhärtung und Schreibung der Umlaute, die in Kenntnis des morpehmatischen
Prinzips richtig und eben nicht lautorientiert geschrieben werden können; Bsp.: Hand -
Hände (mit d und nicht mit t geschrieben, weil Plural Hände heißt und mit ä und nicht
mit e, weil Stammwort Hand mit a heißt)
Daher: Arbeit mit Wortfamilien wichtig um Kindern das Gleichschreibungsprinzip der
herkunftsverwandten Wörtern bewusst zu machen
Aber: morphematische Gleichschreibung wird nur dann realisiert, wenn sie nicht gegen
die Lautung verstößt, was insbesondere bei der Flexion starker Verben häufig passiert
z.B. kommen-kamen oder greifen-griffen
, Kombinationen des Stammmorphems:
-> auch grammatische Morpheme müssen beachtet werden
Stamm-Morphem + Flexionsendung
Konjugationsmorphem
Schreib - e
Schreib - st
Schreibt - t
Schreib - en
Deklinationsmorphem
Kind - es
Kind - e
Pluralmorphem
Kind - er
Tafel - n
Hefte - e
Weitere in Tabelle S. 30
- m. Prinzip auch für die Schreibung von Zusammensetzungen von Bedeutung
-> Bsp.: Fugen-s -> häufig in zusammengesetzten Nomen wie Geburtstag, Arbeitszeit
- besonders leicht wird Buchstabe vergessen, wenn Ende des ersten Wortes und Anfang
des zweiten Wortes gleich lauten z.B. Handtasche, Fahrrad -> anschaulich zu machen,
dass der Wortstamm als Ganzes erhalten bleiben muss
3) Grammatisches oder syntaktisches Prinzip
- regelt die Interpunktion und u.a. jenen Bereich, der eine der häufigsten Fehlerursachen
ist: Groß- und Kleinschreibung (innerhalb Grundschule wichtig: Großschreibung von
Nomen und am Satzbeginn)
-> dabei stellt sich die Frage, ob Groß- und Kleinbuchstaben parallel eingeführt werden
sollen oder zunächst nur unter Verwendung der Kleinbuchstaben
4) Semantisches Prinzip
- gleichlautende Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung (homophone Wörter) werden
unterschiedlich geschrieben z.B. Lerche und Lärche
5) Historisches Prinzip
- es gibt zahlreiche Schreibungen, die dem Stand eines früheren Aussprachemodus
entsprechen; Bsp.: Dehnungs-h (wurde früher als Reibelaut gesprochen) oder -ie
(wurde früher betont gesprochen)
6) Graphisch-formales Prinzip
- eine Regel dieses Prinzips war bspw., dass keine Dreifachschreibung eines
Buchstabens möglich ist (nach neuer Rechtschreibreform aber doch)
————> Schwierigkeit in der deutschen Rechtschreibung dadurch, dass die
verschiedenen Prinzipien miteinander konkurrieren und mal dem einen mal dem anderen
Prinzip mehr Bedeutung zugemessen wird