8.1 Gedächtnisprozesse und Gedächtnissysteme
1. Gedächtnis wird nach seinem zeitlichen Verlauf - Informationsaufnahme, Speicherung,
mögliche Wiedergabe - betrachtet
2. Unterschiedlich lange Dauer der Informationsspeicherung
3. Muss zwischen verschiedenen Gedächtnissystemen unterschieden werden ?
8.1.1 Phasen des Gedächtnisprozesses
Erfahrungen und Informationen über unsere Umwelt erhalten wird durch unsere Sinnesorgane,
von denen sie dann zu den folgenden einzelnen Gedächtnisschritten weitergeleitet werden:
- Codierung (encoding): eingehende Reizinformationen werden über die sensorischen Prozesse
in für das Gedächtnis verarbeitbaren spezifischen neuroyalen Code transformiert
- Speicherung (storage): Aufbewahrung des encodierten Materials über die Zeit, zB das
Behalten einer Telefonnummer oder eines Namens
- Abruf (retrieval): Ab- oder Rückrugprozess umfasst das Suchen & Wiederauffinden der
gespeicherten Information zu einem späteren Zeitpunkt
Bsp: Telefonnummer die wir uns merken möchten. Der visuelle Eindruck der Ziffern wird in ein
neuroyales Äquivalent übersetzt (codiert) das in einer bestimmten Form „irgendwie“ im Gehirn
bzw Gedächtnis erhalten bleibt (Speicherung). Am nächsten Tag müssen wir versuchen die
richtige Nummer ins Bewusstsein zu holen (Abruf) und in eine Handlung (Wählen) umzusetzen.
Ein Nichterinnert-Können kann verschiedene Gründe haben:
- wahrgenommene Inhalte wurden falsch oder schlecht codiert
- Tatsächliche Speicherung der Information ist mangelhaft
- Unfähig, zu einem bestimmten Zeitpunkt, die Information abzurufen, wenn sie benötigt wird
I.d.R. funktioniert unser Gedächtnis so effizient, dass die einzelnen Schritte des Erinnernd nicht
unterscheidbar sind.
Beim „tip of the tongue-Phänomen“ scheint die Information zunächst verschwunden zu sein aber
nach einer gewissen Zeit, wenn die aktive Suche aufgegeben wurde, tritt sie wieder ins
Bewusstsein. Das zeigt, dass ein automatischer Suchprozess stattfindet, der zum Erinnern führt.
8.1.2 Die Gedächtnissysteme im Überblick
Es ist belegt, dass innerhalb des gesamten Systems des Erinnernd und Abrufes von Information
drei unterschiedliche Gedächtnissysteme gibt:
Sensorisches Gedächtnis (sensory buffer)
- sensorische Reize (Bilder, Töne, Gerüche) werden für nur sehr kurze Zeit (Millisekunden bis zu
zwei Sekunden) registriert
- Nur bei zuteilwerdender Aufmerksamkeit werden diese Repräsentationen übertragen in das
nachfolgende
Kurzzeitgedächtnis (KZG, short-term memory)
- umfasst Erinnerungen an nicht weit zurückliegende Erlebnisse, die sehr bald verblassen (ca
20s), wenn sie nicht weitere Aufmerksamkeit erfahren & bearbeitet werden
- Dieser sogenannte Arbeitsbereich, in dem Informationen be-& verarbeitet werden, wird
Arbeitsgedächtnis genannt (working memory)
Langzeitgedächtnis (LZG, long-term memory)
- Erinnerungen & Informationen können für längere Zeit, Minuten bis Jahre, gespeichert &
erhalten werden
- Inhalte sind nicht so schnell zugänglich wie die Inhalte des KZG
Vereinfachtes Gedächtnismodell zur Informationsverarbeitung:
, Das sensorische Gedächtnis ist eine Art Zwischenspeicher, das erst bei der Wahrnehmung und
Erinnerung von ganz kurzfristig gezeigten Reizen von Bedeutung ist.
Eingehende Informationen werden also zunächst im sensorischen Speicher kurz registriert, um
dem Gehirn die Möglichkeit zu geben, gemäß der Aufmerksamkeitskapazität daraus die
wichtigsten Aspekte zu codieren und in das Kurzzeitgedächtnis zu transferieren, sich das
Wahrgenommene bewusst zu machen und zu vergegenwärtigen.
8.2 Methoden und Befunde der frühen experimentellen Gedächtnisforschung
8.2.1 Ersparnismethode
Eine Liste mit sinnlosen Silben wird so lang in derselben Reihenfolge wiederholt, bis alle Silben in
der richtigen Reihenfolge aufgesagt werden können. (Lernkriterium)
Die Silben werden eine Weile ruhen gelassen und danach probiert man wie viele Wiederholungen
man braucht um die Liste wieder fehlerfrei aufsagen zu können.
I.d.R. sind dazu weniger Wiederholungen erforderlich als beim ersten Mal. Je weniger
Wiederholungen beim Wiedererlernen notwendig sind, umso mehr wird von ursprünglichen
Lernen behalten.
8.2.2 Massives und verteiltes Lernen
Wenn eine zwölfsilbige Reihe 68 mal hintereinander gelesen wird so benötigt man nach 24
Stunden noch sieben Wiederholungen bis die Reihe erneut fehlerfrei aufgesagt werden kann.
Verteilt man die Lernarbeit auf drei Tage benötigt man beim verteilten lernen nur circa 38
Wiederholungen um die Liste erstmals zu lernen und nach 24 Stunden genügen fünf neuerliche
Wiederholungen zum wiedererlernen.
Über die Zeit verteiltes Lernen ist effektiver als massiertes Lernen, also das Üben in einem Stück.
8.2.3 Reproduzieren oder Wiedererkennen
Untersuchungen zu Vergessenskurven haben gezeigt, dass Wiedererkennungsleistungen stets
besser sind als die des Reproduzierens.
Wiedererkennen geling wesentlich leichter als Reproduzieren.
8.2.4 Umfang des Lernstoffes
Die Verdopplung des Lernmaterials erhöht nicht linear die Einprägungszeit, sondern macht
doppelt so viele Lerndarbietungen nötig.
Jede Vergrößerung des Lernmaterials macht eine unverhältnismäßig große Steigerung der
Lernzeit notwendig.
8.2.5 Positionseffekte
Die Stellung eines Items innerhalb einer in gleicher Reihenfolge gelernten Liste hat Einfluss auf
das Behalten. Diese Positionseffekte bestehen darin, dass die ersten und die letzten Elemente in
einer Liste besser behalten werden als die Silben im mittleren Bereich.
Serieller Positionseffekt
Besagt, dass die ersten (primacy) und auch die letzten (recency)
Elemente beim lernen einer Liste von Elementen besser
behalten werden als die mittleren.