5.1 Aufmerksamkeit und selektive Reizverarbeitung
Aus der Gesamtmenge der eingehenden und der im Gedächtnis gespeicherten Informationen wird
immer nur eine Teilmenge erfasst und bearbeitet, um effizientes Handeln zu ermöglichen.
-> selektive Aufmerksamkeit
Selektive Aufmerksamkeit (selective attention)
= Konzentration des Bewusstseins auf immer nur einen bestimmten Aspekt all unseres Erlebens,
und das ignorieren anderer Teile der Information.
Was wir wahrnehmen hängt von den Reizen selbst, aber auch von unseren momentanen
kognitiven Aufmerksamkeitsprozessen ab, welche aus unseren Interessen, Erwartungen oder
jeweiligen Zielen resultieren.
5.1.1 Aufmerksamkeitssteuerung
Es erfolgt eine enorme Informationsreduktion in der bewussten Wahrnehmung.
Da wir nicht merken, was wir „nicht merken“, ist uns nicht klar wie eng der momentane
Aufmerksamkeitsbereich tatsächlich ist.
Trotz geringer Informationsaufnahme ist es uns möglich recht komplexe Situationen aufzugreifen
und auf gespeicherte Informationen zurückzugreifen.
Exkurs 5.1 Flaschenhalsmodell (letztlich als falsch erwiesen)
1 Bit ist die kleinste Informationsmenge (Bit = bi nary digit)
Die maximale Informationsmenge wird aus den Rezeptoren der Sinnesorgane im Verhältnis 1:10^7
bis zum momentanen Bewusstseinsinhalt eingeschränkt.
Diese Einschränkung erfolgt durch 2 Prozesse: Die selektive Aufmerksamkeit und die
Invariantenbildung.
Der motorische Output hat annähernd die gleiche Informationsmenge wie der sensorische Input.
Die Flaschenhals-Enge besteht nicht darin, dass die Menge der eingehenden Informationen nicht
verarbeitet werden könne (Informations-Chaos), sondern darin, dass nicht gleichzeitig auf alle
einströmenden Informationen gleichzeitig reagiert werden könne (Handlungs-Chaos).
5.1.2 Selektive Aufmerksamkeit
Der Hauptanteil der Eingangsinformation wird als irrelevant ausgefiltert, wobei diese
„subliminalen“ Informationsanteile Voraussetzung für zahlreiche „unbewusste“ Reaktionen sind.
Wie selektieren wir die verschiedenen Informationen, die wir tatsächlich weiterverarbeiten?
Die Verarbeitung von Sinnenreizen ist sowohl hinsichtlich ihrer Bewusstwerdung als auch in Bezug
auf Prozesse der Handlungssteuerung selektiv.
„Wahrnehmung ist selektiv in dem Sinne, dass nur ein Ausschnitt der von den Sinnesrezeptoren
aufgenommenen Reizinformationen zur Handlungssteuerung herangezogen wird und mit
bewusstem Erleben einhergeht.“
Auszug aus: Christian Becker-Carus and Mike Wendt. „Allgemeine Psychologie.“ Apple Books.
Folgende Merkmale ermöglichen es uns einem Gespräch längere Zeit folgen zu können:
- Klangcharakterisik der Stimme
- Intonation oder die Sprechgeschwindigkeit
- Grammatikalischer und semantischer Inhalt
Letzteres bedeutet, dass wir mit einer Erwartungshaltung an die Sprachanalyse heran gehen und
passendes aus dem Sprachengewirr konzeptgesteuert zusammenfügen (top-down).
Verarbeitungsmechanismen, die ohne „Erwartung“ auskommen werden als datengesteuert
bezeichnet (bottom-up).
Selbst wenn wir einem Gespräch folgen, die anderen in Geräuschpegel untergehen, können wir
die Informationen der anderen Gespräche nicht vollständig ausblenden, denn das Nervensystem
überwacht die anderen Sinneseingänge auf relevante Stimuli, ohne dass wir uns dessen bewusst
sind. (Bsp. In einem anderen Gespräch fällt unser Name)
Die selektive Aufmerksamkeit führt zu einer Aufmerksamkeitsausrichtung auf die interessierende
Reizquelle.
, „Alle Informationen müssen zuerst zentral verarbeitet und bewertet werden, und erst diese
Bewertung entscheidet über ihren Verbleib im weiteren Aufmerksamkeitsprozess.“
Auszug aus: Christian Becker-Carus and Mike Wendt. „Allgemeine Psychologie.“ Apple Books.
Signale müssen erst das ZNS erreicht haben, ehe entschieden werden kann, ob sie für den
Organismus „relevant“ sind.
5.1.3 Dichotisches Hören und Filtertheorien
Unter Dichotischem Hören versteht man das Hören von gleichzeitig dargebotenen, aber
seitenunterschiedlichen Hörsignalen.
Bei einem versuch kann die Versuchsperson ihre Aufmerksamkeit auf das eine oder andere Ohr
konzentrieren, sodass der Einfluss semantischer Inhalte auf die Reaktionszeit der Versuchsperson
untersucht werden konnte.
Die Reaktionszeit auf ein bestimmtes Reizwort, dass das aufmerksame Ohr wahrnahm, wurde
signifikant verzögert, wenn dem nicht aufmerksamen Ohr gleichzeitig eine synonyme Nachricht
vorgegeben wurde.
„Auch das dem Shadowing nicht unterworfene Material wird offenbar irgendwie erfasst und kann
die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn es semantisch sinnvoll erscheint. Dies aber ist
wiederum nur über Top-down-Prozess e möglich, nämlich mit der Erwartung einer bestimmten
sinnvollen Fortsetzung des Gehörten.“
Auszug aus: Christian Becker-Carus and Mike Wendt. „Allgemeine Psychologie.“ Apple Books.
Die Untersuchungen zum dichotishen Hören sprechen für eine zentrale Steuerung der
Aufmerksamkeit & lassen erkennen, dass die neue Information zunächst in Verbindung zu
eingespeicherten Gedächtnisinhalten getreten sein muss um eine Entscheidung über ihre
Bedeutung & Zuwendung der Aufmerksamkeit zu treffen.
Das Wahrnehmungssystem hat eine Art Speicher, in welchem die einkommende sensorische
Information zwischenzeitig kurz gespeichert und analysiert werden kann. Auch im visuellen
System verfügen wir über einen kurzzeitigen sensorischen Speicher.
Dämpfungsmodell
= auch nichtbeachtete Reize werden in abgeschwächter Form an zentrale Verarbeitungseinheit
weitergeleitet.
Diese gedämpfte Reizinformation führt, nur unter bestimmten Bedingungen zu nachfolgenden
Prozessen wie der Entschlüsselung des semantischen Inhalts.
Die „Voraktivierung“ bzw Erwartung von Gedächtnisinhalten ist von Bedeutung. Wenn dies
gegeben ist, genügt die schwache Reizinformation zur Auslösung des entsprechenden Prozesses.
Andere Ansätze verzichten auf die Annahme eines früheren Filters. -> Modelle der späten
Selektion
In diesen Modellen findet die Auswahl von Informationen zur Handlungssteuerung und bewussten
Verarbeitung erst in einer späteren Phase statt.
„Trotz diverser Nachweise, dass nicht zu beachtende Reize mitunter in abstrakter Weise
kategorisiert werden, können Mechanismen der Reizselektion bereits in frühen Phasen der
Verarbeitung wirksam werden, sodass sich physiologische Unterschiede der Verarbeitung
beachteter und unbeachteter Reize schon nach weniger als 200 ms nach Beginn der
Reizdarbietung beobachten lassen.“
Auszug aus: Christian Becker-Carus and Mike Wendt. „Allgemeine Psychologie.“ Apple Books.
„Zur Erfassung späterer Auswirkungen von vorangegangenen Reizdarbietungen kann auch das
sogenannte Priming (oder Bahnung) herangezogen werden (Kap. 9, Sprache). Hiermit konnte die
semantische Verarbeitung nicht zu beachtender Reize gezeigt werden. Zum einen finden sich in
diversen Aufgaben beschleunigte Reaktionen, wenn im direkten Vorfeld der visuellen Darbietung
eines zu erkennenden Zielreizes (Target) ein zusätzlicher Reiz (Prime) dargeboten wird, der in einer
semantischen Beziehung zum Target steht, gegenüber semantisch unverwandten Reizpaaren
(Abb. 5.4). Präsentiert man dagegen simultan mit dem Target einen Distraktor, so finden sich