Institut für Literaturwissenschaft - Neuere Deutsche Literatur
Geschichte der neueren deutschen Literatur I
Sommersemester 2020
Epochen der deutschsprachigen Literatur
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1. Einführung
• Definition Epoche:
Ein Ausschnitt der historischen Zeit (Zeitraum), in dem z.B. literarische Texte
Gemeinsamkeiten aufweisen, wodurch eine Epochenabgrenzung/-
unterscheidung vorgenommen werden kann.
• Charakteristikum der dt. sprachigen Literatur:
keine lineare Abfolge der Epochen, es gibt Überlappungen.
• Epochenbildung:
o Historischer Wandel geschieht unterschiedlich schnell/langsam
(Merkmale/ Strukturen können unterschiedlich lang konstant bleiben)
o Literaturgeschichtliche Periodisierung meist nur ungefähr datiert (wegen
Überlappungen)
o Klassifikation abhängig von Merkmalen/ Strukturen, auf denen der Fokus
liegt (System der Gattungen kann in bestimmtem Zeitraum konstant bleiben,
aber lit. vermittelte Geschlechterrollen oder Wert-/ Normsysteme der
Gesellschaft nicht)
→Bei konkurrierenden Klassifikationen, Entscheidung meist für die mit den
meisten/wichtigsten Veränderungen.
o Entscheidung bezüglich Fokus, basiert auf Interpretation/ Wertung der
Belege
o Unterscheidung entlang der Kategorien: was typisch (kann Epoche mit Vor-/
Nachfolger teilen) und was spezifisch ist (das trennt sie)
o Nicht alle Texte einer Epoche, weisen alles Merkmale/ Strukturen auf
→Ausnahmen/ abweichende Einzelfälle
o Verschiedene Teilsysteme einer Kultur müssen nicht synchron verlaufen
→Einschnitte der pol. Geschichte sind nicht direkt welche in der
Literaturgeschichte
• Literaturgeschichte:
o ist das Ergebnis einer bewussten Auswahl, einer gezielten Reihung,
Verknüpfung und Hierarchisierung von Texten
o Ziel: Darstellungen der Autoren/Texte/ und ihre Leser; was literarische
Kommunikation einer Epoche jeweils ausmacht; Einzelfälle/ Besonderheiten
herauszustellen
• Was hat Literatur und Literaturgeschichtsschreibung verändert?
(Epochenübergreifende Prozesse und Veränderungen)
o Leser- und Bildungsgeschichte (Extensives Lesen löst intensives Lesen ab),
Kommunikations- und Mediengeschichte (Veränderte Wahrnehmungsweisen
durch bildgebende Verfahren → Kamera, Werbung), Veränderungen im
Bereich der Fortbewegung (zu Fuß → mit der Kutsche)
o Lit.geschichtliche Werke überlagern sich häufig (Historische Großepochen,
mediengeschichtliche Einschnitte, kulturelle Praktiken des Lesens und
Kulturkonsums)
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2. Barock (1600-1720)
• Barockbegriff:
o Historisch umstritten
o Begriff nicht von Akteuren des 17. Jhd. verwendet →Poesie benannt nach
Namen/ Regionen (Bsp: „Auserlesene Gedichte“, „Gelehrtes Frauenzimmer“)
o Abgeleitet aus dem Portugiesischen „barocco“ für „schräge, unregelmäßige,
bizarre“ Perle →als Sprache des Schmucks bezeichnet
▪ Eröffnet Künstler neue Bereiche der schöpferischen Fantasie
▪ Exklusivität auch für Dichter des Barocks wichtig
▪ Bsp: Grotesk → ruft Gefühl unangenehmer Bizarrheit und sympathischen
Mitleids hervor
→diese Herleitung wird bevorzugt
o Andere Idee aus dem philosophischen Bereich: als syllogistischer Modus, der
falsche oder trügerische Schlussfolgerungen ergibt (Vertreter: Panofsky, Vincent)
o 18. Jhd. Bedeutung geistiger Aufhellung („Erleuchtung des Geistes“ =Metaphorik
des Lichts) →gewinnt zunehmend an intellektueller Bedeutung (=Bezeichnung
eines Programms)
o Etablierte sich Ende des 19. Jhd. als künstlerischer Stil und formtypologisches
Gegenstück zur Kunst der Renaissance →Epochenbegriff für 18. Jhd. verwendet
(Gleichsetzung mit Rationalismus)
o Abwertende Auffassung reicht bis weit ins 20. Jh.
• Kritik/ Äußerungen:
o Begriff auch von Kritikern des 18. Jhd. noch nicht verwendet
o Gottscheds Kritik an Dichtern des 17. Jh. Gibt Vorahnung für Anwendung des
Begriffs
▪ Allgemein am Versagen der Poesie und der Funktionen der Rhetorik
▪ Ansehen und Qualität der deutschsprachigen im Vergleich zu anderen
Nationen
▪ Krankheit, Verlauf zur Fehlbildung→Aspekt der Herkunft des Barocks
o Friedrich Nietzsche: positivere Auffassung (einer der Ersten); betrachtet Begriff
als überhistorisches Phänomen, dass auf alle Künste anwendbar ist („Der
Barockstil entsteht jedes Mal beim Abblühen jeder großen Kunst, …“)
• Merkmale:
o Stilistische Elemente und Motive: Vanitas (Vergänglichkeit der weltlichen
Dinge); Memento Mori (Bewusstsein der Sterblichkeit) und Carpe Diem („Nutze
den Tag“) der Constantia
o Steht (bis auf wenige Ausnahmen) in einer gelehrten Tradition der
überbietenden Nachahmung →Imitatio/ aemulatio
o Dichtung als vorgegebene Regel für anwendende Technik
o Sonett, Jambus, Trochäus, Emblematik
o Klagelied (Thänen des Vaterlandes); Märthyrerdrama (Chatarina von Georgien)
• Historische Ereignisse:
o Auswirkungen der Reformation immer noch spürbar
o 30-jähriger Krieg →Auswirkungen auf die Wirtschaft, soziale und politische
Strukturen
o Russisch-schwedische Krieg, Brandenburger-Schwedische Krieg, Nordische
Krieg
o Zeitalter der literarischen Reform →enorme Entwicklung (durch Humanisten
herbeigeführt)
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, o respublica litterata - renovatio imperii →Wiederherstellung alter Rechte
beziehungsweise Besitzungen des römischen Imperiums
• Vertreter:
Verbreitung der Regeln durch zahlreiche Poeten:
o Martin Opitz, Flemming, Gryphius, von Logau
Martin Opitz – Der Vater der deutschen Poesie
o erhielt eine gute humanistische Ausbildung
o bekannte sich zu Friedrich V (Calvinistische Kurfürst der Pfalz) durch Verfassen
von Lobgedichten, wechselte seine Loyalität jedoch oft →später unter Schutz
des protestantischen Herzogs Georg Rudolf von Liegnitz
o übersetzte katholisch-theologische Texte, aber auch protestantisch-
theologische Texte →wurde von protestantischen Mitstreitern als religiös und
politisch wankelmütig angesehen
o seine Schlüsselschriften zeichnen ihn für Engagement für Sprach- und
Literaturreform aus
o Gebrauch der deutschen Sprachen für Rhetoriken, vor Opitz Veröffentlichung
(Buch von der Deutschen Poetery) nicht allzu sehr verbreitet
o Deutsche Poetiker vor Opitz: Spangenberg
• Primärtexte:
Martin Opitz „Buch von der Deutschen Poeterey“
(Es gibt noch andere zeitgenössische Poetikbücher)
o Liste seiner prosodischen und metrischen Vorschriften: angemessene
Gegenstand der Dichtung, Gattung der Poesie, wie Wörter zusammenzusetzen
sind →3 Kapitel mit technischen Reformen
o Bevorzugt Jambus und Trochäus; Vorliebe für Alexandriner
o Argumentiert für Bedeutung der Poesie und Figur des Dichters selbst
o Poesie ist ebenso wichtig wie Theologie
o Poesie konnte durch Unterhaltung der einfachen Leute, Verhalten und Moral
lehren und stärken
o Heute nur noch weniger Respekt gegenüber Dichte Poesie vom Weg
abgekommen
o Poesie wird vom Publikum gelenkt
o Orientiert sich an höheren Gesellschaftsschichten, geht auf Tradition der
Meistersänge nicht ein
Scheint widersprüchlich zu sein →wurde trotzdem nie korrigiert oder geändert
▪ Epigramm (hat kaum Grenzen) und Satyra werden ununterscheidbar
▪ Reim wird doch nicht von Grenzen der Sprache, sondern „nach der Art,
die wir uns vorgeschrieben haben“ bestimmt
Andreas Gryphius: „Es ist alles Eitel.“ (Gedicht)
→Wurde unmittelbar von Opitz beeinflusst
→einige Überarbeitungen (unterschiedliche Versionen von bestimmten Gedichte)
o Typischer Ausdruck der gryphischen Bearbeitung von Vanitas Motiven
o Alexandriner mit männlichen und weiblichen Kadenzen, 2 Quartette,
umarmender Reim
o Zäsur in jedem Vers markiert Kontrast zwischen Gegenwart und Zukunft
einer mehr oder weniger bestimmten Abgeschiedenheit
o Muster der Antithetik durchgehend vorhanden
o Ewigkeit im Vergleich zum Menschen
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3. Aufklärung (1720 – 1800)
• Ideengeschichtliche Phasen der Aufklärung:
o Rationalismus: (1680-1740) (Decartes, Leibniz) →Vernunfturteil durchdringt
Geheimnisse der Natur
o Empirismus bzw. Sensualismus: (1740-1780) Skepsis gegen reines
Vernunfturteil, Möglichkeit der menschlichen Erfahrung (psychisches/
sensuelles Wahrnehmungsvermögen und Empfindungen)
o Kritizismus (1780-1795): Urteil über Erfahrungswirklichkeit im Zsm.spiel v.
Verstand und Sinnlichkeit →strukturieren die Wahrnehmung der Realität
• Phasen der Aufklärung (Literaturgeschichtlich):
o Frühaufklärung (ca. 1680-1740) auch Rokoko oder Galante Epoche genannt
o Hochaufklärung und Empfindsamkeit (ca. 1740-1770)
o Spätaufklärung (ca. 1770-1800) Teil davon Sturm und Drang →Kontroverse in
der Forschung (Sturm und Drang Teil der Aufklärung oder Gegenbewegung?)
o Davor: Epoche des Barocks / Danach: Sturm und Drang und Klassik
• Aufklärung:
o Fordert Ermächtigung der Vernunft
o Versteht sich als Erziehung des Menschen
o Fördert Emanzipationsbestrebungen: bürgerliche Emanzipation, jüdische
Aufklärung
o Zeitalter des Wissens und der Wissenschaft, Naturerkenntnis durch neue
Methoden (kopernikanisches-heliozentrisches Weltbild)
o Verlangt Säkularisierung (z.B. Religions- u. Aberglaubenskritik)
• Religionskritik:
o Aberglaubenskritik, Wunderkritik: Christian Thomasius
o Dogmen- und Bibelkritik: Fragmentstreit zw. Lessing und Pastor Götze
o Kritik am Amtskirchentum, Orthodoxie
o Priester(be)trugstheorie: aus frz. Aufklärung → Erfindung rel. Amtsträger zur
Herrschaftssicherung
• Vermittlung zw. Religiösem und naturwissenschaftlichen Weltbild:
o Physiko-Theologie: naturwiss. Forschung als moderne Form des Gottesdienstes
o Deismus: Loslösung von Offenbarungsidee; gegen theistischen Gottesglauben
o Neologie: Verbindung aus Physiko-Theologie und Deismus
• Entstehung von lit. Markt und Öffentlichkeit:
o Deutschland Flickenteppich, deshalb nicht zentrale Entwicklung
o Städtische Zentren der Aufklärung:
▪ Hamburg: sehr früh aufklärerische Zeitschriften, Lessings
Hamburgerische Dramaturgie (1767-69) → Dichter wie Happel, Brockes
▪ Leipzig: Buchmessen und Universitätsstadt; Christian Thomasius lehrte
dort; Dichter wie Christian Reuter und Goethe studierten dort
▪ Göttingen: Dichter wie Albrecht von Haller und Lichtenberg lehrten dort
▪ Berlin: Zeitschriftengründungen
o Erste Hälfte: nur Gelehrten; zweite Hälfte: auch Gesellschaft
▪ Wandel des Buchmarktes: Steigerung von Sachliteratur & dt. Nationallit.
▪ Neu Leserschichten: neben gelehrten/gebildeten → klein- und
unterbürgerliche Leserschaft, weibliche Leserschaft,
Aufklärungspädagogik →fördert Leseverhalten von Kindern/
Jugendliche
▪ Extensive Lektüre (Lesewut, Vielleserei)
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