– Hochmittelalterliche Heldendichtungen aus dem Bereich der Nibelungensage; das Nibelungenlied in etwa
2400 vierzeiligen Langzeilenstrophen, die Klage in etwa 4300 kurzen Reimpaarversen.
- Identität ihrer Verfasser im dunkeln. Zumindest beim N. ist das gattungsbedingt: Der Dichter ordnete
sich der Tradition unter, weil er bemüht war, Diktion u. Erzählweise traditioneller (u. traditionell
anonymer), mündl. Heldendichtung ins Literarische zu verlängern. Der Verfasser der K. war dagegen
ausgesprochener Buchdichter u. als solcher wohl Kleriker. Daß er sich nicht nennt, mag U. a. mit der
Anbindung seines Werks an das N. zusammenhängen.
-intensivere u. systematischere Versuche provoziert, den bisher verstreut u. eben vorwiegend noch
mündlich tradierten einheim. Sagenstoffen vom Schicksal Siegfrieds von den Niederlanden am Hof
der Burgunder in Worms u. vom Untergang dieser Burgunder (Nibelungen) am Hof des Hunnenkönigs
Etzel zusammenfassende, schriftepische Gestalt zu verleihen u. sie so literaturfähig zu machen.
Was der N.-Dichter schuf, war ein Rohbau oder jedenfalls ein Text, dem keine endgültige,
»schriftliche« Autorität zukam. Jene erste Phase der Textkonstitution u. Traditionsbildung hat uns
deshalb nur drei im Prinzip gleichermaßen authent. »Bearbeitungen« hinterlassen, die nach den Siglen
der jeweiligen Haupthandschriften A (viertes Viertel 13. Jh.), B (zweites oder drittes Viertel 13. Jh.) u.
C (zweites Viertel 13. Jh.) als *A, *B u. *C bezeichnet werden. Klar setzt sich v. a. die »höfisch«
rationalisierende Fassung *C von den beiden anderen ab, u. aus diesem Zweig stammt die (von A
übernommene)
Prologstrophe »uns ist in alten maeren...«, auf die ähnlich ins Formale objektivierend der
abschließende Halbvers antwortet: »daz ist der Nibelunge liet«, statt »daz ist der Nibelunge not« in *A
u. *B (der entsprechende, ebenfalls titelgebende Schlußvers der K. lautet: »ditze liet heizet diu
klage«). Noch im weiteren Verlauf des 13. Jh. treten andere Versionen neben diese drei, z.B. in der
Handschrift J (viertes Viertel), wo U. a. die K. eine drast. kürzende Bearbeitung erfahren hat, oder in
einer erstmals um die Jahrhundertmitte fragmentarisch belegten Mischredaktion aus *B u. *C. Dieser
Transformationsprozeß ist bis zum Ausklang der mittelalterl. Tradition in Kaiser Maximilians
Heldenbuch praktisch nie zur Ruhe gekommen. Gründe dafür sind sowohl Kontaminierungen bei
mechan. Abschrift wie systemat. Umarbeitungen, um den Text an den Zeitgeschmack oder bestimmte
Überlieferungszusammenhänge anzupassen; v. a. aber bewegt sich insbes. der N.-Text von Anfang an
u. auf lange Zeit hinaus in einem Fluidum konkurrierender Mündlichkeit (in paralleler Lied- oder
Balladendichtung oder allg. Sagenwissen), die das für die schriftl. Großform Selektierte
gegebenenfalls korrigiert, von der Formulierung bis in die Regelung von Handlungszusammenhängen
hinein. Für die buchhafte K. gilt das letztere nicht, u. sie hat wohl anfänglich auch dem N. die literar.
Respektabilität geliehen, die es brauchte, um selbst zum Bucherfolg zu werden, ohne sich jemals
wirklich aus der Welt vielgestaltiger, mündl. Sagentradition gelöst zu haben.
Die Stoffkerne dieser Sagentradition stammen aus dem burgundisch-fränk. Raum der späten
Völkerwanderungszeit, sind jedoch nur schemenhaft in ein paar histor. Namen u. Aktionen greifbar:
die Vernichtung des ostgerman. Stamms der nach Westen gewanderten Burgunden unter Gundahar
durch römisch-hunn. Truppen 436/37, u. dazu später ein paar burgundische Königsnamen; auf hunn.
Seite in dieser u. der folgenden Generation die Großkönige Bleda (†445; Blödelin) u. sein Bruder
Attila (†453; Etzel), dazu Attilas Frau Hereka/Kreka (Helche). In den merowingischen Bruderzwisten
des 6. u. angehenden 7. Jh. spielt Brunichildis, Witwe des 575 von seinen Verwandten ermordeten
Sigibert I, eine bedeutende Rolle. Aber Brunichildis ist nicht Kriemhild u. Sigibert ist nicht Siegfried,
u. gerade in diesem Bereich der Sage muß man auch mit myth. Vorstellungen rechnen.
Aber in der Praxis mündl. Reproduktion über Jahrhunderte hinweg muß es unzählige verschiedene
liedhafte Reflexe des Stoffs gegeben haben.
, Den literarsoziolog. Rahmen dieser Entwicklung stellen urspr. an bestimmte Regionen gebundene,
aber durch Familienbeziehungen übertragbare Haus- u. Sippentraditionen, in denen sich die allg.
Funktion von Heldendichtung als Geschichtsüberlieferung der analphabetischen Elite weiter
konkretisiert u. die sich v. a. in Personen- u. Ortsnamen spiegeln. In diesem Rahmen muß es immer
wieder auch zu produktiven Umschichtungen u. Ergänzungen gekommen sein, nicht zuletzt durch
Anverwandlung von Akteuren aus den Trägerfamilien selbst
Der vielleicht wesentlichste Anstoß in dieser Richtung ging vom allmählich Mode werdenden
Gebrauch einer Strophenform aus, die erstmals um 1150 im Werk des donauländ. Minnesängers
Kürenberg belegt ist: vier durch Binnenkadenz zäsurierte u. paarweise endgereimte Langzeilen, deren
vierte mit einer zusätzl. Hebung im Abvers die Strophe effektvoll abrundet. Um diese neue Form zu
erfüllen, mußte man von der traditionellen Sprachgebung der älteren Überlieferung bis zu einem
gewissen Grad abgehen, u. der Dichter des N.s u. seine Umgebung haben auf dieser Basis das
halbliterar. »Nibelungische« mit seinem eigenen Wort- u. Formelschatz, wenn nicht allein entwickelt,
so doch als die Sprachnorm der neuen großepischen Erzähltradition etabliert. Schon der Kürenberger
erwähnt dazu eine »wise«, aber wir kennen zu diesem im Anschluß an das N. nicht nur in der
Heldenepik außerordentlich einflußreichen Strophentyp mehr oder weniger genau passende Melodien
erst aus viel späterer Zeit. Sangbar war das N. in jedem Fall, doch war das Singen wohl eher fakultativ.
Ganz unterschiedlich umfängl. Gruppen solcher Strophen sind in insg. 39 »aventiuren« (ein höf.
Terminus) zusammengefaßt, aber fast immer so, daß sich klar abgerundete Erzählblöcke ergeben. Die
19. »aventiure« (Str.n 1101-1142) erfüllt dabei eine Art Scharnierfunktion zwischen zwei etwa gleich
langen Hauptteilen: Kriemhild trauert dreieinhalb Jahre um Siegfried, bevor man dessen
Nibelungenhort nach Worms holt, doch als sie verdächtig freigebig damit umzugehen beginnt,
versenkt der mißtrauische Hagen ihn im Rhein. Weitere neuneinhalb Jahre verstreichen, bevor dann
Etzel um die Hand der berühmten Witwe anhält. Der Blick von hier aus zurück u. nach vorn fällt auf
ein internes Handlungsgerüst, das sich aus paralleler u. kontrastiver Variation zweier vorgeprägter
Handlungsschemata ergibt: erfolgreiche Brautwerbung (ein in Deutschland im 12. u. 13. Jh. literarisch
beliebtes Modell) unter bedrohl. Auspizien, gefolgt von einer verräterischen Einladung, die mit dem
Tod des Gastes bzw. der Gäste endet.
Zähmung Brünilds: Da Brünhild sich überdies in der Brautnacht noch einmal als zu stark für
Gunther erweist, muß Siegfried ein zweites Mal einspringen: Er überläßt die niedergerungene Braut
Gunther, nimmt ihr aber Ring u. Gürtel u. schenkt beides Kriemhild.
Frauenzank: vom privaten Zank um den offiziellen Rang der Männer zur öffentl. Konfrontation um
Brünhilds privates Geheimnis fort, u. somit zum gesellschaftl. Eklat. Das böse Wort »mannes kebse«
steht im Raum, u. Ring u. Gürtel dienen als »Beweis
Auf die großen Intervalle von insg. 13 Jahren in »aventiure« 19 folgt der zweite Hauptteil in ähnl.
Kombination der Grundschemata, jedoch in umgekehrtem erzählzeitl. Verhältnis. Etzels Werbung –
eine offizielle Staatsaktion mit Rüdeger von Bechelaren als Boten (20. av.) – ist (ein allerdings
gewichtiger) Auftakt zum Untergang u. als solcher nuanciert bewußt gemacht: Kriemhild motiviert
allein der Wunsch nach Rache für Siegfrieds Tod, u. Hagen rät vergeblich gegen die Verbindung.
Trotzdem vergehen auch nach dieser Hochzeit (in Wien) noch einmal viele Jahre (13), während derer
U. a. ein Sohn, Ortlieb, geboren wird, bevor Kriemhild an die Ausführung geht (23. av.). Weder Hagen
noch (in kom. Kontrafaktur dazu) der Küchenmeister Rumold können verhindern, daß die Brüder der
Einladung des ahnungslosen Etzel Folge leisten; aber auf dem abenteuerreichen Zug der jetzt
gelegentlich auch Nibelungen genannten Burgunder nach Süden, zur Donau u. über Passau u.
Bechelaren (Pöchlarn) nach Etzelburg (Ofen/Budapest oder Gran/Esztergom?) tut Hagen zumindest
alles, um sich u. ihnen die Unvermeidbarkeit der Tragödie bewußt zu machen (av. 25-27).
Das Schicksal erfüllt sich im Zeitraffer von zwei Tagen u. drei Nächten, auf einer gedrängt vollen
Bühne u. unter Beteiligung vieler, die nur in diesem Schlußabschnitt auftreten. Das sind v. a. Dietrich
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