Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
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Themenblock I – Erziehung
Inhaltsverzeichnis:
1.0 Der Erziehungsbegriff ....................................................................................................................... 2
1.1 Grundbegriffe & Grundlagen der Erziehung ................................................................................. 2
1.1.1 Notwendigkeit von Erziehung ................................................................................................ 2
1.1.2 Die Auflösung des Erziehungsbegriffs und das Kontingenzproblem..................................... 4
1.1.3 Konzeptualisierung von Erziehungsbegriffen ........................................................................ 5
1.2 Verschiedene Erziehungsbegriffe .................................................................................................. 8
1.2.1 Der deskriptive Erziehungsbegriff nach BREZINKA ............................................................... 8
1.2.2 Der handlungstheoretische Erziehungsbegriff nach HEID ...................................................... 9
1.2.3 Der intentionale Erziehungsbegriff nach GIESECKE............................................................... 9
1.2.4 Erziehungsstile nach LEWIN & BAUMRIND ............................................................................ 9
1.3 Der Sozialisationsbegriff ............................................................................................................. 10
1.3.1 Definitionen von Sozialisation ............................................................................................. 10
1.3.2 Merkmale von Sozialisation ................................................................................................. 12
1.3.2 Sozialisationstheorien ........................................................................................................... 16
1.3.3 Abgrenzung Erziehung & Sozialisation ............................................................................... 18
2.0 Historische Erziehungstheorien ....................................................................................................... 19
2.1 Erziehung nach Locke (1632-1704) ............................................................................................ 19
2.2 Erziehung als Wachsenlassen – Rousseau (1712-1778).............................................................. 19
2.3 Erziehung nach Kant (1724-1804) .............................................................................................. 21
2.4 Erziehung als Lebenhelfen – Pestalozzi (1746-1827) ................................................................. 23
2.5 Erziehung nach Schleiermacher (1768-1834) ............................................................................. 23
2.6 Erziehung als Regieren & Zucht – Herbart (1776-1835) ............................................................ 26
3.0 Aktuelle und moderne Erziehungstheorien ..................................................................................... 28
3.1 Der deskriptive Erziehungsbegriff von BREZINKA (1990) .......................................................... 28
3.2 Der handlungstheoretische Erziehungsbegriff von HEID (1994) ................................................. 33
3.3 Emanzipation durch kommunikatives Handeln nach MOLLENHAUER (1986/1977) ................... 36
4.0 Erziehungsziele ............................................................................................................................... 39
4.1 Begriffsbestimmung .................................................................................................................... 39
4.2 Klassifizierungsmöglichkeiten .................................................................................................... 40
4.3 Aufgaben und Funktionen ........................................................................................................... 40
4.4 Erziehungsziele im Wandel ......................................................................................................... 41
4.5 Legitimation von Erziehungszielen (WEBER 1999) .................................................................... 42
4.6 Gefahren und Probleme päd. Zielsetzungen (WEBER 1999) ....................................................... 44
4.7 Erziehungsziele in Institutionen .................................................................................................. 44
4.8 Mündigkeit als Erziehungsziel .................................................................................................... 45
,5.0 Werteerziehung ............................................................................................................................... 47
5.1 Grundbegriffe und Modelle der Werteerziehung (MULTRUS 2008) ........................................... 47
5.1.1 Abgrenzung klassischer Grundbegriffe ................................................................................ 47
5.1.2 Materiale & formale schulische Werteerziehung ................................................................. 47
5.1.3 Grundtypen und Modelle der Werteerziehung ..................................................................... 48
5.2 Nachhaltige Werteerziehung in der schulischen Praxis (MULTRUS 2008).................................. 50
5.2.1 Rolle der Lehrkraft ............................................................................................................... 50
5.2.2 Rolle der Lehr- und Lernkultur ............................................................................................ 51
5.2.3 Schule als Erziehungsinstanz (STEIN 2017) ......................................................................... 51
5.3 Moralische Entwicklung (LOHAUS/VIERHAUS 2019) ................................................................. 54
5.3.1 PIAGETS Stadien der moralischen Entwicklung ................................................................... 55
5.3.2 KOHLBERGS Stufentheorie des moralischen Urteils ............................................................. 56
5.3.3 Vergleich beider Modelle zur Moralentwicklung ................................................................ 56
5.4 Wertvorstellungen von Jugendlichen .......................................................................................... 57
5.4.1 SINUS-Jugendmilieu (CALMBACH et al. 2020) ................................................................... 57
5.4.2 Die 18. Shell Jugendstudie (ALBERT/HURRELMANN/QUENZEL 2019) ................................ 60
5.5 Exkurs: Werteverfall vs. Wertewandel........................................................................................ 63
5.5.1 Erziehungsziele in einer wertunsicheren Gesellschaft ......................................................... 63
5.5.2 Theoretische Diskussion ....................................................................................................... 63
5.5.3 Diskussion der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung ................................................. 64
Examensfragen:
Herbst 2022a: Familiale Sozialisation ist auch im Jugendalter von großer Bedeutung. Erläutern Sie die
Aufgaben der Familie im Erziehungsprozess von Jugendlichen und gehen Sue auf Probleme der Ablö-
sung vom Elternhaus ein! ODER Herbst 2022b: Schildern Sie theoretische Ansätze zur Erklärung der
moralischen Entwicklung! Welche Ansätze werden durch die empirische Forschung am besten gestützt?
Diskutieren Sie wiss. Begründete Verfahren der Förderung von moral. Denkens und Handeln in einem
sonderpäd. Schulkontext!
Frühjahr 2022: Erörtern Sie den Begriff „Sozialisation“ im Kontext einer Ihnen bekannten Sozialisati-
onstheorie! Abgrenzungen von Erziehungs- & Sozialisationsprozessen in schul. Zusammenhängen!
Herbst 2021: Nennen und beschreiben Sie Schwierigkeiten, die sich mit konkreten Erziehungszielen in
einer pluralen Gesellschaft ergeben und stellen Sie unterschiedliche Möglichkeiten der Legitimierung
von Erziehungszielen dar! (2x)
Frühjahr 2021: Grenzen und Möglichkeiten einer moralischen Erziehung am Beispiel einer Ihnen be-
kannten Konzeption. Fragen der praktischen Umsetzung in schulischen Zusammenhängen!
Herbst 2020: Stellen Sie zwei Erziehungstheorien vergleichend dar (+ kritischen Würdigung!)
Frühjahr 2020: Mündigkeit wird als wichtiges Erziehungsziel in vielen Erziehungstheorien formuliert.
– 1. Stellen Sie eine historische oder aktuelle Erziehungstheorie dar, und diskutieren Sie deren Stärken
und Schwächen hinsichtlich der normativen Zielvorstellung Mündigkeit! 2. Erläutern Sie im Anschluss
die Relevanz des Erziehungsziels Mündigkeit in Bezug auf Ihre Schulform!
Herbst 2019: Stellen Sie Rousseaus Erziehungstheorie dar (+ kritischen Würdigung!)
Frühjahr 2019: Sind Werte lehrbar? Nehmen sie anhand von theoretischen Ansätzen der Werterziehung
und empirischen Erkenntnissen zu dieser Frage Stellung!
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,Frühjahr 2018: Erläutern sie, was unter formaler und materialer Werterziehung verstanden werden
kann, betrachten sie die Konzepte kritisch und ordnen Sie ein, welche Rolle die Schule dabei einnimmt!
Herbst 2017: Nennen und erläutern Sie eine aktuelle Erziehungsdefinition inklusive ihres Vertreters!
Stellen sie Schwierigkeiten dar, die sich mit dem Versuch einer Definition des Erziehungsbegriffs erge-
ben und üben sie schließlich Kritik an dem von ihnen genannten Erziehungsbegriff!
Frühjahr 2017: Skizzieren Sie einen theoretischen Ansatz zur moralischen Entwicklung im Kindes- und
Jugendalter und stellen Sie ein Modell der Werterziehung dar! Diskutieren Sie dessen Möglichkeiten
und Grenzen für deinen wertorientierte Unterricht in der Schule!
Frühjahr 2016: Wertewandel und Wertorientierung von Jugendlichen. Stellen Sie aktuelle Forschungs-
ergebnisse dar und leiten daraus Ansatzpunkte für die Werteerziehung in der Schule ab!
Übergeordnete Lernziele:
✔ Erziehungsbegriff
o Definitionen kennen, ausführen und diskutieren
o Abgrenzung zur Sozialisation
o Ursachen für die enorme Breite & Vielfalt an Konzeptionen erläutern
o Mögliche Kriterien nennen und erklären
✔ Erziehungstheorien
o Theorien kennen, vergleichen und diskutieren
o zu Fragen der Notwendigkeit von Erziehung Stellung beziehen
✔ Erziehungsziele
o Begriff definieren und von verwandten Konzepten (z. B. Normen) abgrenzen
o Schwierigkeiten in einer pluralen Gesellschaft erläutern & verschiedene Legitimations-
ansätze diskutieren
o Mündigkeit als konkretes Erziehungsziel
✔ Werteerziehung & -wandel
o Definitionen und Modelle kennen, erläutern und diskutieren
o Forschungsergebnisse als Ansatzpunkte für die schulische Praxis einbinden
o Moralische Entwicklung & handlungsorientiere Moralerziehung erläutern
1.0 Der Erziehungsbegriff
1.1 Grundbegriffe & Grundlagen der Erziehung
„Erziehung gehört zum pädagogischen Auftrag, wenn dieser sich an der Menschenbildung orientiert,
die Unterricht und Erziehung, Wissen und Haltung umfaßt. Unterricht bezieht sich auf Wissen, auf
Sachverhalte, Erziehung bezieht sich auf die Art des Wissens, auf den Umgang mit ihm, auf Ich-Ver-
halte“ (HEITGER 2015)
1.1.1 Notwendigkeit von Erziehung
„Die Notwendigkeit & Möglichkeit von Erziehung findet ihre Begründung im Subjektsein des Men-
schen: als Zweck seiner selbst im Auftrag der Selbstbestimmung“ (GUDJONS/TRAUB 2020)
a) Anthropolog. Grundlagen (päd. Anthropologie) als Begründung/Rechtfertigung von E.
Annahme: Die menschliche “Natur” be- Aber: Der Mensch entwickelt sich von Na-
darf des “kulturellen Überbaus”, damit tur aus selbst (Rousseau) Lernbedürftigkeit
der Mensch zum Menschen wird → Er- ≠ Erziehungsbedürftigkeit. (Mit Erziehung
ziehung wird zur humanisierenden Kraft ist untrennbar Normativität verbunden –
Frage nach natürlicher Gültigkeit!)
→ Frage nach dem Menschen als erziehungsbedürftiges, erziehbares und verantwortlich erzie-
hungsfähiges Wesen…
• Biologische Aspekte: 2 differierende Grundauffassungen
- GEHLEN: Der Mensch als Mängelwesen - Kultur ist Kompensation seiner Schwäche
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, - Evolution & Pädagogik: E. als Entwicklungsprozess im Erfahrungsschatz der Kultur
• Philosophische Aspekte:
- »Der Mensch kann nur zum Menschen werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung
aus ihm macht ...« (KANT)
- Der Mensch als umweltfreies und weltoffenes Geistwesen (SCHELER)
- Breites Spektrum an Einsichten zum Wesen des Menschen
b) Enkulturation: Das grundlegende Lernen von Kultur
= grundlegender Prozess des Hineinwachsens in die Kultur (LOCH 1968 & FEND 1969) und umfasst z.
B. den Erwerb der Muttersprache oder die Entwicklung eines Verständnisses für gesellschaftliche Re-
geln → legt den Grundstein für soziale Teilhabe und damit auch für Erziehung (intentionaler Aspekt).
● „Erziehung wird als ‚Sozialmachung‘ beschrieben, Sozialisation als ‚Sozialwerdung‘, beide als Mo-
ment der ›Enkulturation‹ ...“ (TENORTH 1992)
● Individuation → singuläre, persönliche, einzigartige Individualität
● Kontroverse: Abhängigkeit des Menschen ist zugleich die Bedingung (und Chance) für seine Ent-
wicklung (= prinzipielle Widersprüchlichkeit des erzieherischen Prozesses) Wie kann aus Ab-
hängigkeit Autonomie werden, aus einem Verhältnis von Hilflosigkeit und Angewiesensein Unab-
hängigkeit und Eigenständigkeit?
c) Der pädagogische Grundgedanke nach BENNER (1987):
● Anlagedetermination: Bildsamkeit & Umweltdetermin. → Aufforderung zur Selbsttätigkeit
● “Imperfektheit” (Erziehungsbedürftigkeit) des Menschen → Notwendigkeit
● Vier allgemeine Prinzipien der »Erziehungspraxis« nach BENNER:
1. Bildsamkeit des Menschen zur Selbstbestimmung
2. Aufforderung zur Selbstständigkeit bzw. Selbsttätigkeit (1. Prinzip entfaltet sich nur durch
die Mitwirkung des Heranwachsenden)
3. Überführung gesellschaftlicher Determination (der Erziehungspraxis) in die pädagogische
Determination (d.h. die gesellschaftliche Einflussnahme muss pädagogisch geprüft, kon-
trolliert, korrigiert werden)
4. Zusammenhang aller menschlichen Praxen und gemeinsame Aufgabe der Höherentwick-
lung der Menschheit.
= Die Prinzipien 1 & 4 beziehen sich auf die Aufgabenbereiche und den Zweck der Erziehungspraxis
im Rahmen der menschlichen Gesamtpraxis, die Prinzipien 2 & 3 auf die richtige Art und Weise
der Erziehung im Zusammenhang von individueller und gesellschaftlicher Einwirkung auf die Er-
ziehung
Richtige Art und Weise der Erziehung ≠ gleich normative Erziehung (vgl. BENNER)
Reflexiv-anregende Wirkungen können nur durch Aufforderung zur Selbständigkeit bewirkt werden
(vgl. MONTESSORI: „Hilf mir es selbst zu tun“)
„Die Idee der Erziehung mit ihrem Telos auf Haltung und Charakter korrespondiert mit dem Ge-
danken von Freiheit und Verantwortung“ (HEITGER 2015)
Erziehung ist kein Herrschaftsverhältnis, das diskriminiert, sondern hat sich im Prinzip des Dialoges zu
definieren. Der Dialog als personale Interaktion verweist auf den intrapersonalen Dialog, in dem sich
Erziehung als Selbstbestimmung erst vollziehen kann.
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