Verhaltens & Evolutionsforschung
Lektion 1 Grundlagen und Begriffe der Verhaltensforschung
1.1 Von Darwin bis Chomsky: Entwicklung der Verhaltensforschung
Verhaltensforschung:
- Teilgebiet der Biologie
- Verhalten von Menschen und Tieren
Klassische Verhaltensforschung/ Ethologie:
- Lehre oder Wissenschaft von Gewohnheiten
- vergleichenden Verhaltensuntersuchungen und den evolutiven Grundlagen von Verhalten
Humanethologie/ Verhaltensbiologie des Menschen:
- eigene Fachdisziplin
- schließt Psychologie, Psychiatrie und Anthropologie mit ein
- Tiere spielten eine wichtige Rolle als Nahrungsquelle
- Wissen über Tiere als Selbstschutz, um gefährlichen Tierarten aus dem Weg zu gehen
o Jagderfolg eher garantiert, wenn Migrationsverhalten, Jugendaufzuchtsorte bekannt sind
o weiß, ob Tiere allein oder in Gruppe auftreten, welche Tiere leichter zu erlegen sind
Entwicklung der Verhaltensforschung als Wissenschaft
- Zeitzeugen sind Höhlenmalereien und Tierfiguren aus Stein oder Knochen
o im Altertum Beschreibung von Tieren z.B. Aristoteles
- Bis Ende des 18. Jhd.: eher eine Leidenschaft von Adeligen, Geistlichen und Philosophen
- 19. Jhd.: Wurzeln der systematischen wissenschaftlichen Verhaltensforschung
, - Charles Darwin: wichtiger Vertreter
o Verhaltensweisen = wichtiger Faktor der Evolution ➙ da Verhalten nicht nur durch evolutive
Prozesse verändert werden kann, sondern auch den Verlauf der Evolution selbst beeinflussen
Mitbegründer der klassischen Ethologie:
Charles Whitman:
- förderte phylogenetischen Untersuchung von Organen & Instinkten
Oskar Heinroth:
- Erforschung von angeborenen Instinkthandlungen bei Vögeln
- Forschungsziel phylogenetischer Studien: Charakterisierung der Weiterentwicklung einzelner Merkmale
im Verlauf der Entwicklungsgeschichte einer Art
- phylogenetische Studien beziehen sich klassischerweise auf anatomische oder physiologische
Merkmale
- Arbeit von Whitman und Heinroth unterstützte neue Annahme ➙ „dass bestimmte Verhaltensweisen einer
Art ebenso für deren phylogenetische Analysen herangezogen werden können wie deren anatomische
Merkmale.“
Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts:
Europa: vergleichende Verhaltensforschung vor allem durch exakte Beobachtungen von Verhaltensweisen in
einer natürlichen Umgebung
USA: vor allem experimentell gesteuert, Behaviorismus
- Behaviorismus: sämtliche Verhaltensweisen eines Individuums werden auf vorangegangene Erfahrungen
zurückgeführt und können einer Reiz-Reaktions-Verbindung zugeordnet werden
- Beschränkung auf experimental untersuchbares Verhalten (sichtbares Verhalten)
- Innere Prozesse werden nicht berücksichtigt, da man sie wieder beobachten noch präzise messen
kann➙ Gehirn = Black Box
- Etablierung durch John Watson, inspiriert durch Ivan Pavlov und Edward Thorndike
o Puzzle Box: Lernexperiment mit Tieren, Lernen durch Versuch und Irrtum.
o „kleiner Albert“ Watson: Furchtexperiment mit 9 Monate altem Kind
o Skinner-Box nach Skinner: Box zum trainieren von Tieren, die bestimmte Handlungen belohnt
- Behaviorismus verliert im 20. Jahrhundert an Bedeutung
- Wird durch den Kognitivismus abgelöst
Kognitivismus:
- Betont kognitive Prozesse als Erklärung für menschliches Verhalten
- Teilgebiet der Psychologie, das sich mit höheren kognitiven Funktionen befasst
,Kritikpunkte am Behaviorismus:
- Forschungsbefunde der klassischen Ethologie zeigen die Bedeutung von Vererbung für Verhalten
- Noam Chomsky's Theorie der Universalgrammatik widerspricht
dem behavioristischen Ansatz von Skinner
o Chomsky's Kritik begünstigt die Wende zur kognitiven Psychologie
- In den 1930er-Jahren entwickelte sich die klassische Ethologie in Europa
- Konrad Z. Lorenz, Nikolaas Tinbergen und Karl von Frisch = "Urväter" dieser Fachrichtung
o Erhielten 1973 gemeinsam den Nobelpreis für ihre „Beiträge zur Organisation von
Verhaltensmustern.“
- Mittelpunkt der Forschung: exakte Dokumentationen & Beobachtungen von Verhaltensmustern bei
verschiedenen Tierarten in ihrer natürlichen Umgebung
- Grundlage für vergleichende phylogenetische Analysen und Fragen zum Anpassungswert
(Wertigkeit eines Verhaltens in Anbetracht seiner Selektionsvorteile entsprechend der Evolutionstheorie)
von Verhaltensweisen
- Untersuchungen zur Kontrolle und den Ursachen von Verhalten sind ebenfalls bedeutend
Konrad Z. Lorenz (1903-1989): („Gänsevater“)
- Österreichischer Zoologe und Hauptbegründer der Ethologie
- Berühmt für seine Prägungsexperimente mit Graugänsen
- Forschung zu Schlüsselreizen und angeborenen Auslösemechanismen von Verhalten
Karl von Frisch (1886-1982):
- Zoologe
- bekannt für sinnesphysiologische Studien an Fischen, insbesondere zum Hörsinn und Farbensehen.
- Beschreibung der Tanzsprache und Orientierung von Honigbienen
Nikolaas Tinbergen (1907-1988):
- Niederländischer Zoologe, der ethologische Prinzipien im englischen Sprachraum verbreitete
- Führte Feldstudien an Tieren durch, interessierte sich auch für menschliches Verhalten, insbesondere die
menschliche Aggression
- Bekannt für seine vier Grundfragen der Verhaltensforschung
1.2 Definition von Verhalten
- Verhalten = was lebende Tiere, einschließlich Menschen, tun
= Bewegungen, Senden und Verarbeiten von Signale, interne Prozesse wie Lernen und
Entscheidungsfindung
- Verhalten endet erst mit dem Tod des Individuums
- zentraler Mechanismus zur Anpassung eines Lebewesens an seinen Lebensraum
, Definition von Verhalten (Kappeler):
1. Umfasst intern koordinierte Kontrolle von Bewegungen und Signalen.
2. Dient der Interaktion mit Artgenossen und der unbelebten Umwelt.
3. Beinhaltet Aktivitäten, die der Homöostase des Individuums dienen (Gleichgewichtserhaltung)
- Homöostatische Prozesse: bpw. intakter Energie- und Wasserhaushalt oder Thermoregulation sind
wichtige Aspekte für Wohlergehen und Überleben
z.B. Migrationen von Herdentieren zum Auffinden von Wasser/ spezielle Konstruktionen des Baus von
kolonielebenden Insekten zur aktiven Beeinflussung der Umgebungstemperatur
- Beinhaltet Suchen und Auffinden von Nahrung, das Vermeiden von Fressfeinden, Finden und Auswahl
von Fortpflanzungspartnern, Aufzucht der Nachkommen
- Variiert zwischen Arten und Umweltbedingungen
➙ unterliegt Veränderungen durch die Evolution ➙ kann Verlauf der Evolution beeinflussen, da es
relativ flexibel angepasst werden kann
Beispiel: Asiatische Elefanten:
o Weibliche asiatische Elefanten scheiden ein Pheromon im Urin aus, um Elefantenbullen
anzulocken und ihre Bereitschaft zur Befruchtung zu signalisieren
Systematisches Beobachten:
- zielgerichtete Planung und Methodenanwendung
- Verhalten wird durch interne (z. B. genetische, hormonelle) und externe (ökologische und soziale)
Faktoren beeinflusst
Wahrnehmung: inzidentelles Beobachten, passiver,
beiläufiger Prozess, bei dem mit allen Sinnesorganen
Geschehnisse in der Umwelt erfasst werden
➙ kein wissenschaftliches Arbeiten
= Grundlage für Beobachtungen
Beobachten: zielgerichteter und geplanter Prozess, bei
dem die Aufmerksamkeit gezielt auf Reize, Objekte
oder Aktivitäten der Umwelt gelenkt wird
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