Inhalt
Table of Contents
1. Gerechtigkeit....................................................................................................................................2
2. Menschenwürde und Menschenrechte..............................................................................................6
3. Politik.............................................................................................................................................10
4. Umwelt...........................................................................................................................................13
5. Medizin...........................................................................................................................................16
6. Familie und Sexualität....................................................................................................................19
7. Wirtschaft.......................................................................................................................................22
8. Freiheit............................................................................................................................................24
9. 10 Gebote........................................................................................................................................28
10. Bergpredigt und Frieden...............................................................................................................31
11. Flucht und Migration....................................................................................................................35
12. Medien..........................................................................................................................................38
1
,1. Gerechtigkeit
d
1. Hintergründe unseres modernen Gerechtigkeitsbegriffs:
Die griechische Antike
o Platon sah in der Gerechtigkeit die höchste der vier Kardinaltugenden (neben Klugheit, Tapferkeit und
Besonnenheit). Ihre Aufgabe ist, dass die übrigen drei so zusammenwirken können, dass sie am Ende zu
etwas Gutem führen (und der Held nicht etwa aus fehlgeleiteter Tapferkeit alle Gegner einfach
rücksichtslos niedermetzelt)
o Gerechtigkeit ist schon für Platon wichtige Grundlage für gutes Leben und gute Gesellschaftsordnung
o In der Praxis meint Gerechtigkeit (in der Tradition Platons) den Willen, „jedem Menschen sein Recht
zukommen zu lassen”. Es geht also nicht um das was wir vielleicht unter einer gerechten Verteilung der
Güter verstehen, dass nämlich jeder am Ende das Gleiche hat. Gerechtigkeit ist die Forderung, jedem die
Aufgabe in der Gesellschaft zu geben, die seinen Begabungen am ehesten entspricht
o Aristoteles (der Schüler Platons) stellte zum ersten Mal die Frage, wie man diese Gerechtigkeit erreichen
könnte. Er formulierte den Grundsatz: suum cuique – jedem das seine (und eben nicht: jedem das
Gleiche!). Eine Gesellschaft soll sich also bei jedem Menschen die Frage stellen, was er für eine
gleichberechtigte Teilhabe für Voraussetzungen bedarf
o noch heute ist diese platonische Tradition in der Forderung wiederzufinden, dass der Staat allen die
Teilnahme an der Gesellschaft ermöglichen soll (GG Art. 2 & 3)
Die biblische Tradition
o Aktiv wird Gerechtigkeit in der Bibel zum Thema, wenn Glaube auf den Prüfstand gestellt wird (z.B. bei
Hiob 42,1-6; Paulus - Röm 8,28f. & Röm 9-11; Jesus – Mk 15,34 & Mt 27,46)
o Das allgemeine Gerechtigkeitsverständnis der Bibel beruht (anders als bei Platon und Aristoteles) nicht
auf tugendhafte Rücksichtnahme auf alle Menschen und – als Folge daraus – auf Gleichheit. Es ging im
Gegenteil um eine Betonung von Ungleichheit:
Gott ist der/die wahrhaft gerechte Herrscher/in, der/die den Menschen bestraft (Am 5; Hos 2)
Der Mensch kann nicht tugendhaft sein, was ihm durch das Gesetz vor Augen geführt wird (Röm 7)
Der ungerechte Mensch bedarf deshalb einer gerecht-Machung aufgrund seines Glaubens. Durch
Jesus Tod am Kreuz wurde diese Notwendigkeit nicht aufgehoben, sondern nur nochmal bestätigt
o Diese biblische Gerechtigkeit ist also angewiesen auf die Beziehung zu Gott und überträgt sich auf die
zwischenmenschlichen Beziehungen in Form von liebevollem Handeln (Gal 5,14; Röm 13,8-10)
o Der Mensch ist also nach biblischem Verständnis nicht wirklich frei ( 8. Freiheit), sich tugendhaft zu
verhalten. Es bedarf einer vorgeschalteten Tat Gottes. Deshalb kommen zu den vier philosophischen
Tugenden Klugheit, Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit im Mittelalter noch die drei theologischen
Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung hinzu, quasi als Indikatoren einer guten Gottesbeziehung und in
Folge dessen auch als Schlüssel der zwischenmenschlichen Beziehungen
Der biblische Grundsatz lautet: Die Barmherzigkeit umgreift die Gerechtigkeit. Die Barmherzigkeit
Gottes ist der auslöschende (ich meinte natürlich: auslösende ^^’) Faktor für die Fähigkeit des
Menschen zur Gerechtigkeit. Die Barmherzigkeit der Menschen wiederum ist Ausdruck der Hoffnung
auf und Freude an der Gerechtigkeit durch Gott nach dem Tod
o Auch wenn die Bibel keinen für uns typischen Gerechtigkeitsbegriff hat, liefert sie dennoch Begründungen
für das in der Antike entwickelte Gerechtigkeitsverständnis:
1. Schöpfungstheologisch: Aus der Gottebenbildlichkeit resultiert eine Würde des Menschen
( 2. Menschenwürde und Menschenrechte)
2. Bundestheologisch: Gott erwählt gerade das kleine, schwache Volkes Israel. Auf die Gesellschaft
übertragen heißt das: Ihr habt Sorge zu tragen, dass es auch den Schwächsten von euch gut geht!
3. Kreuzestheologisch: Durch Jesus wurde dieser Bund auf alle Menschen ausgeweitet. Folglich hat
nun auch jeder Mensch ein Anrecht auf bestmögliche Entfaltung seines Individuums! Jesus kann
als Vorbild dienen, der mit Zöllnern und Sündern an einem Tisch saß
4. Eschatologisch: Jesus liefert auch eine Vorhersage für die Gerechtigkeit, wie sie zur Zeit des
Jüngsten Gerichts gelten wird. „Aber viele, die die Ersten sind, werden die Letzten und die
Letzten werden die Ersten sein” (Mt 19,30). Es kommt hier zur Umkehrung der Hierarchien
2
,2. Gerechtigkeit in der säkularen Neuzeit:
o Für die Frage nach Gerechtigkeit existiert für die aller meisten Menschen heute kein bewusster Bezug
mehr zu Gott, es gilt das etsi deus non daretur1. Das gilt sogar für viele gläubige Menschen. Gott kommt
kaum noch aktiv zur Sprache, wenn man sich fragt, wie man eine gerechte Handlung begründen kann
Die Situation
o Gerechtigkeit als Thema taucht überhaupt nur da auf, wo ein Unrecht nicht mehr zu übersehen ist
o Als Beispiel: Nach aktuellen Zahlen gilt der deutsche Staat bei über zwei Dritteln aller Deutschen als nicht
gerecht (Umfrage der Zeitschrift Geo aus dem Jahr 2007). Und das in einem Land, das zu den am höchsten
entwickelten und reichsten der ganzen Welt gilt
Die Reichsten 1% haben so viel Geld wie die ärmsten 30%
Frauen sind noch weit entfernt von wirklicher Gleichberechtigung
Menschen haben oft schwer zu schuften, um überhaupt über die Runden zu kommen
Preise für Nahrungsmittel und Wohnraum steigen seit Corona und der Ukrainekriese ins Unermessliche
Die Klimagerechtigkeit fragt: Wie kann es sein, dass wir heute auf Kosten unserer Nachkommen leben?
o Man sieht also gerade daran, dass Gerechtigkeit so sehr wie nie zuvor zum Thema wird, dass der
moderne Mensch ein Problem mit dem Begriff entwickelt hat
Das Grundproblem
o Sowohl bei den Griechen als auch in der Bibel beschreibt die Gerechtigkeit eigentlich nur eine
Veranlagung zum Guten, die jeder Mensch besitzt. Nach Cicero besitzt jeder Mensch Zugang zum
summum bonum (Das meint das, was objektiv gut ist). So kann dann von jedem Einzelnen abgeleitet
werden, was in einer jeweiligen Situation gerecht ist
o In der Moderne ist ein großes Problem, dass das, was als gut und gerecht angesehen wird, nicht objektiv
festzuhalten ist. Je nach sozialem und individuellem Background können unterschiedliche
Verhaltensweisen als gerecht verargumentiert werden (z.B. Kapitalismus vs. Kommunismus). Auch haben
nach Luhmann die verschiedenen Systeme je unterschiedliche Vorstellungen davon, was gerecht ist. Für
die Wirtschaft wäre das ein komplett freier Markt, für Politiker/innen je nach Parteizugehörigkeit
Unterschiedliches, für Klimaschützer/innen alles, was das Klima schützt 2
Ob eine Handlung also gerecht ist, ist heute immer verbunden mit der Frage nach der Motivation und
dem angestrebten Ziel, die hinter der Handlung stehen
o Das Verschwinden des summum bonum wird also zum Problem für die Gerechtigkeit als ethische
Kategorie. Wie kann man nun festhalten, was objektiv gut ist? An ihre Stelle tritt die etwas schwammige
Dreiheit: Freiheit – Gleichheit – Solidarität
o Während Freiheit ( 8. Freiheit) und Gleichheit ( 2. Menschenwürde und Menschenrechte) noch an
anderer Stelle besprochen werden, ist für dieses Kapitel die Solidarität besonders wichtig:
Wirkliche Solidarität ist nach Horkheimer nur in Kombination mit Glauben an Gott möglich. Nur so
erhält Solidarität nämlich Verbindlichkeit. Ohne Gott KANN der Mensch vielleicht solidarisch sein, er
wird es aber in vielen Fällen nicht sein
So liefert auch Jesus eine Begründung für Solidarität: “Was ihr getan habt einem von diesen meinen
geringsten Brüdern (den Hilfsbedürftigen), das habt ihr mir getan.” (Mt 25,40)
3. Die Christliche Tradition in der modernen Gerechtigkeit:
o Zur Erinnerung: Für die Frage nach Gerechtigkeit gilt für die Menschen heute das etsi deus non daretur
o Wie gerade gehört ist Horkheimer aber davon überzeugt, dass die Grundlage für gerechtes Handeln,
nämlich Freiheit – Gleichheit – Solidarität, zu einem Drittel nur durch Glauben an Gott begründbar wird
o Man könnte die Frage stellen, ob das moderne Gerechtigkeitsverständnis hier nicht eine Schwachstelle
hat. Man bezieht sich auf einen Begriff, der ohne den Glauben an Gott nur noch von der Güte des
Einzelnen abhängt. Kann das in einer säkularen Welt die Antwort auf die Frage nach Gerechtigkeit sein?
o Ganz ohne religiöse Elemente kommt der moderne Gerechtigkeitsbegriff also doch nicht aus!
Zur Freiheit
1 Das bedeutet man verhält sich in dieser Frage so, als gäbe es keinen Gott
2 Allerdings muss man sich aber auch nicht einig werden über einen Gerechtigkeitsbegriff, um Ungerechtigkeit zu
begegnen. Aus unterschiedlicher Perspektive (Kapitalismus und Kommunismus) kann zum Beispiel (unverschuldete)
Armut immer als Ungerechtigkeit erscheinen
3
, o Wie in der Antike existiert heute eine Freiheit des Einzelnen. Allerdings ist die Freiheit heute nicht mehr
nur die Folge von Gerechtigkeit (siehe das suum cuique, nur in einem gerechten Staat kann sich jeder frei
entfalten), sondern eine Voraussetzung für Gerechtigkeit: Der autonome Mensch hat die Freiheit, durch
seine Vernunft selbst zu bestimmen, was er als gerecht empfindet
o diese vernunftbasierte Gerechtigkeit wirkt zunächst wie das Gegenteil einer von Gott vorgegebenen
Gerechtigkeit. Dennoch gibt es eine wichtige Gemeinsamkeit: neben Freiheit beruht die Gerechtigkeit in
der Moderne nämlich auch auf Freiheitsbegrenzung. Der Einzelne muss seine eigene Freiheit
beschränken, um dadurch die Freiheit von allen Menschen zu maximieren und so Gerechtigkeit zu
bewirken
o Kant beschreibt als ein Mittel dieser Freiheitsbegrenzung das staatliche Rechtssystem. Nur so wird
Zusammenleben in Freiheit für alle Menschen möglich
o Diese Selbstbegrenzung erinnert an die selbst auferlegte Begrenzung des Menschen nach biblischer
Vorstellung, um Gottes Gerechtigkeit gerecht zu werden. Hier beginnt also die biblische Asymmetrie
wieder zu wirken
Zur Solidarität
o aus christlicher Perspektive hat Gerechtigkeit ihre Verortung im bevorstehenden Heil, sie ist also ein
eschatologischer Begriff. Durch seinen Glauben wird der Mensch „gerecht gemacht” (Röm 3,28) durch
Gott, der personifizierten Gerechtigkeit. Soweit wäre eigentlich noch gar keine Solidarität nötig
o Deshalb vernachlässigten Christ/innen auch lange die Dimension der sozialethischen Gerechtigkeit. Es
reicht nicht aus, sich auf Gottes Gerechtigkeit zu berufen. Man muss als Christ diese Gerechtigkeit auch
zwischenmenschlich leben. Wie Paulus das bereits predigte, soll im Leben eines Christenmenschen heute
schon das Reich Gottes spürbar werden
Solidarität ist ein wichtiger Bestandteil christlichen Lebens!
o Das Problem ist nun in einer unchristlichen Welt die Frage nach der Begründung von Solidarität. Rawls
versuchte sich daran: Sein Konzept, der so genannte Schleier des Nichtwissens3, sollte Menschen einen
vernünftigen Grund geben für ihr solidarisches Handeln
o Um nochmal auf Horkheimer zurückzukommen: Echter Altruismus ist auch hierdurch nicht zu begründen.
Im Endeffekt beruht ja auch die rawlsche Solidarität nur auf Egoismus. Man muss also festhalten: Wenn
man für echte Gerechtigkeit auch echte Solidarität voraussetzen will, und dafür eine Begründung möchte,
die alle Menschen in die Pflicht zur Solidarität nimmt, haben Christ/innen wie Luther mit seiner Erklärung
der Dankbarkeit über die Gerechtigkeit Gottes die bisher beste Lösung geliefert
4. Die Bibel als Gegner der Gerechtigkeit:
o Eine letzte wichtige Frage ist, ob die Bibel neben ihren Bemühungen für Gerechtigkeit nicht auch das
Gegenteil bewirkt. Da fällt allen voran die Stellung von Mann und Frau ein. Die Schöpfungsgeschichte hat
jahrtausendelang eine Rechtfertigung geliefert für eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen,
angefangen bereits bei Paulus (1 Kor 11, 8-9)
o Oder einige weitere Beispiele:
1. Wenn das Reich Gottes mit einer Heilung aller Behinderungen zusammenhängt, gibt das allen
Behinderungen im Umkehrschluss die Markierung als unnormal, heilungsbedürftig
2. Die katholische Kirche legitimierte Sklaverei lange mit einer Stelle aus dem ersten Buch Mose, in der
Noah seinen Sohn Ham dazu verfluchte, Sklave zu sein unter seinen Brüdern. Das heißt man muss nur
behaupten, alle Schwarzen seien Nachfahren Hams und schon ist es legitim sie zu verklagen
o Um solchen Ungerechtigkeiten vorzubeugen spricht man in moderner Zeit von sozialkritischer
Bibelexegese. Die Auslegung der Bibel soll immer im Blick auf ihre sozialen Folgen bewertet werden. So
will man die göttliche Lehre von Gerechtigkeit bestmöglich erfüllen
3 Der meint soviel wie: Bedenke bei deinem Handeln stehts, dass du auch als jeder beliebige andere Mensch hättest
geboren werden können und behandle sie dementsprechend auch so, wie du gewollt hättest, dass man dich in ihrer
Situation behandelt hätte
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