Das Dokument basiert auf dem Buch "Schriftspracherwerb" von Schründer-Lenzen und dient als Grundlage für die Vorbereitung auf die mündliche Staatsexamensprüfung. Das Skript beinhaltet alle Inhalte aus dem Buch.
Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Lehramt
Mündliche Prüfung Schriftspracherwerb
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By: lenahackl • 1 month ago
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Schriftspracherwerb (Agi Schründer-Lenzen, 2013)
1. Struktur und Merkmale der deutschen Schriftsprache
Kenntnisse über Schriftsprache wichtig, um Aufgabe zu verstehen, vor der die SuS stehen &,
um Material sinnvoll analysieren zu können
1.1. Vom Hören zum Schreiben - vom Laut zum Buchstaben
Schrift = Symbolsystem, mit dem alles Gedachte ausgedrückt werden kann
Deutsche Schrift als „Code": gleichzeitig „geheimnisvoll versteckt" & regelhaft
Deutsch: basiert auf phonologischem System, d.h. die verschiedenen Schriftzeichen beziehen
sich auf Aspekte der Lautung von Wörtern → allerdings keine 1:1 Zuordnung → Deutsch =
„lautorientierte" Alphabetschrift
Korrespondenz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache auf Ebene der Phoneme
und Grapheme
„Phon" = konkreter hörbarer Sprachlaut
„Phonem" = abstrakte Lauteinheit, die zu einer Bedeutungsveränderung führt (kleinste
bedeutungsdifferenzierende Segmente der Lautsprache)
„Minimalpaar" = Wörter, mit unterschiedlicher Bedeutung, die sich in nur einem Phonem
unterscheiden (z.B. Matte & Watte)
„Allophone" = dialektal gefärbte Aussprachevarianten, die die Bedeutung eines Wortes nicht
verändern
Phoneme können stimmhaft oder stimmlos sein (Vokale immer stimmhaft) und kurz oder
lang gesprochen werden
Konsonanten: bestimmter Grad an „Sonorität" (Plosive, Frikative, Nasal)
Vokale: gespannt (in offener Silbe) oder ungespannt (vor zwei Konsonanten)
Schwa-Laut: kaum noch als „e" erkennbar, von Kindern beim Verschriftlichen zu Beginn oft
vergessen, da sie ihn nicht hören können (= Reduktionsvokal)
2. Reduktionsvokal: „a" bei Wörtern wie Vater ("Vata")
Einsatz von Plakaten und Bildern, um Lautbildung zu verdeutlichen und zu veranschaulichen
Häufig steht nicht nur ein Buchstabe für ein Phonem → Bezeichnung "Graphem" (Vokal /a/
kann als „a", „ah", „aa" verschriftlicht werden)
Grapheme = Buchstaben oder Buchstabengruppen, die mit einem Phonem korrespondieren
Phonem-Graphem-Korrespondenz: ein Laut kann durch verschiedene Buchstaben bzw.
Buchstabenkombinationen orthographisch korrekt geschrieben werden
Statistisch häufigsten Graphemformen = „Basisgrapheme" („ie" für langes /i:/
Orthographische Besonderheiten = „Orthographeme" („i" oder „ieh" für langes /i:/)
Erste kritische Sicht auf Anlauttabellen:
Anlauttabellen = Hilfsmittel, in denen Buchstaben oder Buchstabenkombinationen durch
Bilder veranschaulicht werden, die jeweils im ersten Laut mit dem jeweils zugeordneten
Graphem korrespondieren sollen
Suggerieren mit der Wahl ihrer Bilder z.T. eine Phonem-Graphem-Korrespondenz (PGK), die
nicht den sprachstatistischen Gegebenheiten entspricht → führen Kinder in die Irre (z.B. der
sog. „Igel-Fehler" → Bild eines Igels für den Laut /i/ → irreführend, da langes /i:/ normal als
„ie" geschrieben wird → besser z.B. „Insel"
1
, Häufig inkonsistent: für manche Vokale zwei Bilder (versch. Variationen lautlicher
Realisierung) aber nicht für alle (oft „e" → lang durch Esel und kurz durch Ente; für „a", „o"
und „u" oft nur ein Bild)
„Lauttabellen" → werden auch zum Lesen genutzt & enthalten auch Laute wie z.B. „ng" in
Gong (nicht nur Anlaute)
Hohe Varianz der Graphem-Phonem-Korrespondenz → Anlauttabellen allenfalls begrenzt
einsetzbar
Graphem-Phonem-Korrespondenz sehr kompliziert, wenn Fremdwörter auftreten (häufig bei
„y")
Graphem-Phonem-Korrespondenz (GPK) = die Tatsache, dass ein Buchstabe bzw. eine
Buchstabenkombination je nach Wortkontext ganz unterschiedlich ausgesprochen wird
Didaktisch-vereinfachter Weg in die Schriftsprache sinnvoll? (nur Wörtermit
Basisgraphemen) → Kritik: man bleibt eventuell unter den sprachlichen Möglichkeiten eines
Erstklässlers
1.2. Prinzipien der deutschen Rechtschreibung
Das phonologische Prinzip:
wird durch die Regeln der Phonem-Graphem-Korrespondenz bestimmt → trotz aller
Mehrdeutigkeiten wird das Deutsche vielfach lautgetreu verschriftet → lautorientiertes
Schreiben für den Beginn des schriftsprachlichen Unterrichts sinnvoll (Naumann, 1989: 73%
der Laute werden durch häufigsten Buchstaben repräsentiert → hohe Fülle von Wörtern, die
schon bei „lautgetreuer“ Verschriftung orthographisch korrekt geschrieben werden)
Phonologische Schreibung auch, wenn das gesprochene Wort in Silben unterteilt wird
Das morphematische oder etymologische Prinzip („Stammprinzip“):
herkunftsverwandte Wörter entsprechen sich auch in ihrer Schreibung, wenn sie
unterschiedlich artikuliert werden → z.B. Auslautverhärtung oder Schreibung der Umlaute →
Arbeit mit Wortfamilien essentiell, auch für die Schreibung von Zusammensetzungen von
Bedeutungen
Das grammatische oder syntaktische Prinzip:
regelt die Interpunktion und die Groß- und Kleinschreibung → Problem: Sollen Kinder gleich
Groß- & Kleinbuchstaben lernen?
Das semantische Prinzip:
gleichlautende Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung werden auch unterschiedlich
geschrieben (Lärche & Lerche)
Das historische (etymologische) Prinzip:
Schriftsprache besitzt ggü. der gesprochenen Sprache eine gewisse Trägheit →
Schreibungen, die dem Stand eines früheren Aussprachemodus entsprechen, wie z.B. das
Dehnungs-h
Das graphisch-formale Prinzip:
u.a. Verdreifachung eines Buchstabens ist nicht zugelassen
2
, Schwierigkeit der deutschen Rechtschreibung: die Prinzipien konkurrieren miteinander →
recht komplexe Regelwerke → Was sollen Kinder als erstes lernen?
1.3. Vom Mündlichen zum Schriftlichen – von der Sprechsilbe zum Wort
Akzentmuster eines Wortes: bedeutsam für Mündlichkeit & Schriftlichkeit
Trochäus: 1. Silbe betont, 2. unbetont → typisch für das Deutsche
Jambus (genau andersherum) → eher untypisch
Natürlicher Sprechfluss ist an Silbenstruktur von Wörtern orientiert → macht Fokus auf
Phoneme in GS-Didaktik überhaupt Sinn? Sollte man sich nicht auf nächst größere Einheit,
Silben konzentrieren?
Linguistische Analysen der Silbenstruktur von Wörtern für Didaktik des SSE sehr wichtig
Pädagogische Ansätze: zunächst „Schärfung des Hörens“ – linguistische Perspektive:
Sprechrhythmus des Mündlichen
→ „Die Schrift ist keine Abbildung der Lautung; sie ist vielmehr eine Abbildung von
Grammatik. Wer die Kinder auffordert, zu schreiben, wie sie sprechen, erschwert oder
versperrt ihnen den Weg in diese alles entscheidende Einsicht“ (Bredel, 2011)
Klassischer Silbenaufbau: Anfangsrand/ Onset („m“ von „Mus“ & „t“ von „ter“), Silbenkern/ -
gipfel/ Nukleus (Vokal!) & Endrand/ Koda (s von „Mus“ & „r“ von „ter“) → kindgemäß: Jede
Silbe braucht einen König!
Vokal od. Diphthong immer vorhanden, Anfangs- oder Endrand kann fehlen
Zusammenfassung Kapitel 1:
Die deutsche Schrift ist eine lautorientierte Alphabetschrift.
Das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache lässt sich durch Phonem-
Graphem-Korrespondenzen klassifizieren.
PGK bzw. GPK können regelmäßig aber auch unregelmäßig sein, wobei Wörter häufig nicht
vollständig regel- bzw. unregelmäßig sind, sondern nur bezüglich einzelner Segment-
Korrespondenzen.
Für die normadäquate Verschriftung des Deutschen ist die Berücksichtigung komplexer
sprachlicher Beziehungssysteme notwendig, wobei zwischen dem phonologischen,
morphematischen, grammatischen, semantischen, historischen und graphisch-formalen
Prinzip unterschieden werden kann.
Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive wird in der Beachtung des phonologischen Prinzips
die Bedeutung der Silbe besonders herausgestellt, da sie sowohl die Prozesse der
Worterkennung beim Lesen erleichtert als auch die Einsicht in die Bauprinzipien der
Schreibsilbe unterstützt, in dem sie einen systematischen Zugang zu den Regularitäten der
Wortschreibung ermöglicht.
2. Basiswissen zum Schriftspracherwerb und den Schwierigkeiten
dieser Lernaufgabe
Drei Ebenen des Lese- und Schreibprozesses
1. Die Ebene der Worterkennung und Wortschreibung
3
, 2. Die Ebene der syntaktischen und semantischen Rezeption von Wortfolgen auf Satz- und
Textebene und die Produktion von orthographisch korrekten Schreibungen
3. Die Ebene der Makrostruktur von Texten, die sich dem Leser nur erschließt, wenn er formale
und inhaltliche Strukturen sowie den ggf. vorhandenen verborgenen Gehalt eines Textes
erfassen kann bzw. in der Lage ist, einen kohärenten adressaten- und
situationsangemessenen Text zu produzieren
→ In wissenschaftlicher Diskussion kein Konsens darüber, welche dieser Ebenen im
Anfangsunterricht angesprochen und welches Fähigkeitsniveau erreicht werden sollte
2.1. Zwei-Wege-Modell des Wortlesens
Kognitive Prozesse, die bei der Worterkennung ablaufen, wurden in verschiedenen Studien
untersucht
Top-down-Prozesse:
Geübte Leser: „mentales Lexikon" → wortspezifische Informationen unmittelbar abrufbar →
„Top-Down"-Prozess (direkter Zugriff auf alle relevanten Informationen)
Wissensgeleitete top-down-Lesemodelle: weisen der Sinnerwartung beim Lesen für die
Entschlüsselung von Wortbedeutungen größte Bedeutung zu
Sinnerfassendes Lesen („Dekodieren") setzt visuelle Analyse des gedruckten Wortes voraus
(Sequenzierungsstrategien von geübten Lesern als hilfreich)
Annahme, dass Wörter als gesamtes „Wortbild" abgespeichert werden = überholt →
„inneres Lexikon" nicht visuell, sondern kognitiv gesteuert
Unmittelbarer Zugriff auf „inneres Lexikon" als der „direkte" Weg in dem Zwei-Wege-Modell
Bottom-up-Prozesse:
Typisch für Leseanfänger
Wort wird auf der Ebene der optisch wahrgenommenen Buchstaben sukzessive entschlüsselt
(„rekodieren"), in dem eine Graphem-Phonem-Zuordnung erfolgt → führt von
Wahrnehmung der Buchstaben bis zur Worterkennung
Nach einiger Zeit gelingt es Leseanfängern, den lexikalischen Weg zu integrieren
Zwei-Wege nicht als getrennt zu sehen, mit etwas Leseerfahrung integriert der Leser auch das
„innere Lexikon"
Zentraler Gedanke des Zwei-Wege-Modells: „inneres Lexikon", das in „visueller Analyse" direkt
aktiviert wird (top-down) → indirekter Weg: führt über Graphem-Phonem-Korrespondenz oder
Silbenstruktur zur Wortsynthese (bottom-up)
Welchen Weg Leser anwendet oft auch aufgabenabhängig: geübter Leser kann unbekanntes Wort
auch nicht auf einen Blick erschließen
2.2. Schwierigkeiten auf den verschiedenen Ebenen des Leseprozesses
2.2.1. Die erste Ebene des Leseprozesses
Schwache Leser: langsamerer Vollzug des „basalen“ Lesens → brauchen mehr Zeit, um
Graphem-Phonem-Zuordnung zu leisten od. Silben zu einem Wort zusammenzufügen
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